Reporter ohne Grenzen ( Sunday, 5. May 2024, 00.34 Uhr )
Pressemeldungen


Gewalt bedroht Berichterstattung über Wahlen
Fri, 3. May 2024, 06:00

Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende: Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert. Dies geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Der Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie – so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Unabhängige journalistische Arbeit ist in diesen Ländern praktisch unmöglich. 

Besonders vor und nach Abstimmungen sind Journalistinnen und Journalisten gefährdet. Es kommt zu Beschimpfungen, Gewalt und Festnahmen. Diese Entwicklung ist besonders besorgniserregend mit Blick auf das Superwahljahr 2024: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird in diesem Jahr an die Wahlurnen gebeten – etwa in den USA und Indien. Auch in Deutschland stehen Wahlen an: Neben den Wahlen für das EU-Parlament wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg über die Zusammensetzung der Landtage abgestimmt.

„Das zunehmende Ausmaß der Gewalt gegenüber Medienschaffenden, die über Wahlen berichten, ist eine erschreckende Entwicklung. Autokraten, Interessengruppen und Feindinnen der Demokratie wollen mit allen Mitteln unabhängige Berichterstattung verhindern“, warnt Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Dies ist nicht hinnehmbar. Demokratische Regierungen müssen sich mehr für den Schutz von Medienschaffenden engagieren. Pressefreiheit ist eine Voraussetzung, um sich unabhängig eine Meinung zu bilden und eine informierte Wahlentscheidung zu treffen.“

Deutschland steigt auf in die Top 10

Deutschland steht auf Platz 10. Das ist ein Aufstieg gegenüber 2023 (21). Betrachtet man die Gesamtpunktzahl, hat sich die Situation in Deutschland aber nur geringfügig verbessert und auch nur in der Kategorie Sicherheit. Der Sprung auf Ranglistenplatz 10 ist zudem auch der Tatsache geschuldet, dass sich andere Länder auf der Rangliste verschlechtert haben.

Besorgniserregend ist weiterhin die Gewalt gegen Medienschaffende: RSF verifizierte für das Jahr 2023 insgesamt 41 Übergriffe auf Journalistinnen und Reporter. Im Vorjahr lag die Zahl noch bei 103 – ein Negativrekord –, im Jahr 2021 bei 80. Wie die aktuelle Nahaufnahme Deutschland zeigt, fanden 18 dieser 41 Übergriffe während Kundgebungen von Verschwörungstheoretikern oder extremen Rechten statt.

RSF geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Organisation sammelte im Jahr 2023 noch viele weitere Fälle von Gewalt gegen Medienschaffende, die jedoch – meist aufgrund fehlender Zeuginnen oder Zeugen – nicht verifiziert werden konnten. Die Zahl der Übergriffe bewegt sich zudem noch immer auf hohem Niveau – 2019, im Jahr vor der Pandemie, hatte RSF nur 13 Übergriffe gezählt.

Positiv zu bewerten ist die deutsche Vorreiterrolle bei der Durchsetzung und Erweiterung des Völkerstrafrechts: Im weltweit ersten Strafprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gambia wurde ein in Deutschland lebender ehemaliger Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt.

Pressefeindliche Tendenzen haben insgesamt in Deutschland zugenommen. Besonders im Internet werden Journalistinnen und Journalisten immer wieder diffamiert, manche bekommen gar Morddrohungen. Seit dem Beginn von Israels Krieg gegen die Hamas beobachtet RSF zudem vermehrt Übergriffe auf Medienschaffende auf Pro-Palästina-Demonstrationen. Zudem verzeichnet die Organisation ein neues Phänomen der Pressefeindlichkeit: Landwirtinnen und Landwirte blockierten in mindestens fünf Fällen mit Traktoren die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern – ein klarer Angriff auf das Recht auf Information.

Spitzenreiter und Schlusslichter: Skandinavien führt, Afghanistan stürzt ab

Wie in der Vergangenheit machen die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich aus: Zum achten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1. Gründe für die gute Platzierung sind unter anderem die große Unabhängigkeit der Medien von der Politik, der gesetzliche Schutz der Informationsfreiheit sowie der traditionelle Pluralismus der norwegischen Medienlandschaft. Ähnlich gut sind die Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung in den Nachbarländern Dänemark (2) und Schweden (3). Unter den Top 5 kommen nur die Niederlande (4) – vor Finnland (5)­ – nicht aus Europas höchstem Norden: In dem Land wird die Pressefreiheit traditionell gut durch Gesetze, Staat und Behörden geschützt.

Am unteren Ende der Tabelle befindet sich Afghanistan (178), das 26 Plätze gefallen ist. Unter den regierenden Taliban wurden im vergangenen Jahr drei Journalisten getötet, mindestens 25 Medienschaffende saßen zwischenzeitlich im Gefängnis. Reporterinnen und Reporter müssen weiterhin ständig damit rechnen, durch Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen zu werden. Erst vergangene Woche traf es drei Radiojournalisten in der Provinz Khost, weil sie Musik abgespielt und Zuhörerinnen in ihrer Sendung angerufen hatten. Die Taliban behindern mit Kleidervorschriften und weiteren Einschränkungen insbesondere die Arbeit von Journalistinnen.

Auch in Syrien (179) hat sich die ohnehin katastrophale Lage weiter verschlechtert. Das von Krieg und Terror geschüttelte Land belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit den vorletzten Platz. Unabhängig journalistisch zu arbeiten, ist in allen Landesteilen nahezu unmöglich. Dutzende Medienschaffende sitzen in den Foltergefängnissen des Assad-Regimes, wurden von dschihadistischen Gruppen entführt oder gelten teils seit Jahren als verschwunden. Wenn doch einmal kritische Berichte über die Machenschaften des Regimes nach außen dringen, bestrafen die Behörden die Medien sofort.

Ein ebenso rechtsfreier Raum ist Eritrea (180), das neue Schlusslicht auf der Rangliste der Pressefreiheit. Eritrea ist eine Informationswüste, sämtliche existierenden Medien stehen unter direkter Kontrolle des Informationsministeriums. Seit 2001 schottet sich die Diktatur von Isayas Afewerki nach außen hin ab und unterbindet den freien Fluss von Nachrichten und Informationen mit großer Härte und Brutalität. Vier der vor über 20 Jahren festgenommenen Journalisten sitzen bis heute ohne Anklage in Haft, etwa der schwedische Staatsbürger Dawit Isaak. Er gehört zu den am längsten inhaftierten Medienschaffenden der Welt.

Osteuropa und Zentralasien: Weniger getötete Medienschaffende

In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verschlechterte sich die Lage der Pressefreiheit weiter. Zwar stieg Russland (162) formell um zwei Plätze auf. Der Sprung erklärt sich jedoch aus der Verschlechterung anderer Staaten; bei der Gesamtbewertung verlor das Land fast fünf Punkte. Nach wie vor geht der Kreml hart gegen unabhängigen Journalismus vor: Seit Beginn der vollumfänglichen Invasion in die Ukraine wurden acht Medien zu unerwünschten Organisationen erklärt und mehr als 70 Medien und 300 Medienschaffende als „ausländische Agenten“ eingestuft. Über 1500 Medienschaffende verließen das Land. Russland weitet die Zensur im Internet aus und geht gegen die Verwendung von VPN-Diensten vor. Medienschaffenden, die im Land bleiben, droht stets Gefängnis.

Besser sieht die Lage in der Ukraine (61) aus: Das Land konnte mitten im Krieg 18 Plätze aufsteigen. Dies liegt vor allem an der geringeren Zahl von Medienschaffenden, die von der russischen Armee getötet wurden. 2023 kamen die Reporter Arman Soldin und Bohdan Bitik durch die Kugeln russischer Soldaten ums Leben. Im Vorjahr lag diese Zahl noch bei neun Medienschaffenden. Ein weiterer Grund für den Aufstieg des Landes: Das Ausmaß der politischen Einflussnahme auf Redaktionen ist zurückgegangen. Solche Versuche werden in der Regel von den Medien aufgedeckt und damit unterbunden. In diese Einschätzung geht der Skandal um die geheimdienstliche Überwachung des Investigativmediums Bihus.info allerdings noch nicht ein. Dieser wurde nach Ende des Berichtszeitraums bekannt.

Stärkster Absteiger in der Region ist Georgien (103), das in der Rangliste der Pressefreiheit um 26 Plätze abstürzte. Dies liegt an der pressefeindlichen Politik der Regierungspartei Georgischer Traum: Die Partei initiierte unter anderem ein Agentengesetz nach russischem Vorbild, das im März 2023 an Protesten scheiterte, mittlerweile aber wieder zur Abstimmung steht. Zudem trieb die Partei Gesetzesvorhaben voran, welche das Budget des öffentlichen Rundfunks von jährlichen Entscheidungen des Parlaments abhängig machen und der Medienaufsicht die Möglichkeit geben, die Verwendung von Hassrede in der Berichterstattung hart zu sanktionieren.

In zentralasiatischen Staaten wie Kasachstan (142) und Tadschikistan (155) wird Journalismus weiter stark eingeschränkt. Usbekistan (148) fiel 2023 in die schlechteste Wertungskategorie ab. Das diktatorisch geführte Turkmenistan (175) bildet das Schlusslicht der Region. In Aserbaidschan (164) hat Präsident Ilham Alijew seit November 2023 etwa 20 Medienschaffende festnehmen lassen. In Belarus (167) ist unabhängiger Journalismus weitgehend verstummt.

Europa: Gutes Gesamtbild, Probleme im Osten und Südosten

Europa ist nach wie vor die Weltregion, in der Journalistinnen und Journalisten am freiesten berichten können – es ist die einzige Region, in der Staaten mit „guter Lage“ der Pressefreiheit vertreten sind. Jedoch hat sich die Lage im Osten und Südosten des Kontinents verschlechtert.

Innerhalb der EU werden pressefeindliche Tendenzen vor allem von Premierminister Robert Fico aus der Slowakei (29) und seinem Amtskollegen aus Ungarn (67), Viktor Orbán, verkörpert. So wurde in der Slowakei beispielsweise Ende April 2024 ein Gesetzentwurf verabschiedet, der die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefährdet, da er politische Einmischung in journalistische Inhalte ermöglicht. In Ungarn leiden Berichterstattende unter anderem an parteiischer Medienregulierung, politischer Einmischung in redaktionelle Entscheidungen, Verleumdungskampagnen und Überwachung.

Hinter Ungarn rangieren aus der Reihe der EU-Mitgliedsländer noch Malta (73) und Griechenland (88). In dem südosteuropäischen Land befindet sich die Pressefreiheit seit 2021 in einer Krise. Der Skandal um das Abhören von Journalisten durch den Nationalen Nachrichtendienst (EYP) ist nach wie vor nicht aufgeklärt, ebenso wie der Mord an dem Kriminalreporter Giorgos Karaivaz im Jahr 2021.

Auch Italien (46) unter Giorgia Meloni fällt in diesem Jahr um fünf Plätze. Besonders besorgniserregend sind die regelmäßige Verwendung von SLAPPs – sogenannte Verleumdungsklagen – sowie die Versuche der Gesetzgebung, die Gerichtsberichterstattung von Medien zu kontrollieren.

Unter politischem Druck steht unabhängiger Journalismus in Bosnien und Herzegowina (81), Serbien (98) und Albanien (99). Die drei EU-Beitrittskandidaten haben ähnliche Probleme: Ihre Medienlandschaft ist geprägt von Falschinformationen und Propaganda. Nachrichtenseiten gehören häufig wohlhabenden Einzelpersonen, welche die Medien für ihre politischen Zwecke oder als Erpressungsinstrumente nutzen. Journalistinnen erleben Online-Belästigungen und in einigen Fällen geschlechtsspezifische Diskriminierung.

In der Türkei (158) werden Medienschaffende oft für einige Wochen oder Monate inhaftiert. Das setzt sie und ihre Familien massiven psychischen und finanziellen Belastungen aus. Zudem schwächt das Regime die Medien durch Internetzensur. 

Zu den guten Nachrichten gehört, dass sich das politische Umfeld für den Journalismus in Polen (47) und Bulgarien (59) verbessert hat. Ein Grund dafür sind neue Regierungen, die einen stärkeren Einsatz für das Recht auf Information zugesagt haben.

Asien-Pazifik: Regime sperren Medienschaffende einfach weg

In der Region Asien-Pazifik gehen Regime mit Zensur, langen Haftstrafen und Gewalt gegen unabhängigen Journalismus vor. 26 der 32 Staaten verzeichnen einen Rückgang der Gesamtpunktzahl und damit eine Verschlechterung der Pressefreiheit.

Das gilt insbesondere für Afghanistan (178) unter den Taliban. Vier weitere Länder sind unter den schlechtesten zehn Plätzen: In Nordkorea (177) lässt die Regierung keinerlei unabhängige Berichterstattung zu. In Vietnam (174) sitzen mindestens 35 Medienschaffende im Gefängnis. Einige werden in Haft misshandelt oder bekommen keine medizinische Versorgung, wie etwa der Fall des Journalisten Le Huu Minh Tuan gezeigt hat. Unter solchen Haftbedingungen leiden auch Journalistinnen und Journalisten in China (172). In keinem Land sitzen mehr Medienschaffende im Gefängnis, derzeit sind es mehr als 100. Mitte Mai soll die seit 2020 inhaftierte Journalistin Zhang Zhan freikommen. Sie hatte in Wuhan über die Frühphase der Covid-19-Pandemie berichtet. Doch oft werden Medienschaffende auch nach der Freilassung überwacht oder sie dürfen nicht ins Ausland reisen. In Myanmar (171) ist die Arbeit lebensgefährlich: Fünf Journalisten wurden seit dem Militärputsch im Februar 2021 getötet. Zuletzt wurde die Leiche des Reporters Myat Thu Tun gefunden. Mehr als 60 Medienschaffende sitzen im Gefängnis.

Mit zwei im vergangenen Jahr ermordeten Journalisten bleiben die Philippinen (134) eines der gefährlichsten Länder der Region. Malaysia (107) hat sich um 34 Plätze verschlechtert, nachdem dort mehrere regierungskritische Nachrichtenseiten zensiert wurden. Auch in Kambodscha (151) haben die Behörden kurz vor den Wahlen 2023 den Zugang zu kritischen Seiten gesperrt. Das Land rutscht in den dunkelroten Bereich, wo die Lage als „sehr ernst“ eingestuft wird. 

Aus methodischen Gründen kann es vorkommen, dass ein Land auf der Rangliste der Pressefreiheit aufsteigt, obwohl sich die Lage verschlechtert hat. Das gilt etwa für Indien (159) und Hongkong (135). In der chinesischen Sonderverwaltungszone sitzen zehn Medienschaffende im Gefängnis. Die Behörden gehen mit einem 2020 durch Peking auferlegten, drakonischen „Sicherheitsgesetz“ gegen Journalistinnen, Journalisten und Medien vor. Nicht mehr mit eingeflossen sind die Folgen eines im März in Kraft getretenen weiteren „Sicherheitsgesetzes“.

Mit der Verschlechterung Neuseelands (19) ist die Region nicht mehr unter den ersten 15 Plätzen vertreten. Trotz Einschränkungen der Informationsfreiheit konnten Länder wie Timor-Leste (20), Samoa (22) und Taiwan (27) ihren Status als regionale Vorbilder in Sachen Pressefreiheit behaupten.

Naher Osten und Nordafrika: Freie Presse von allen Seiten unter Druck

Auch auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit ist die Region Naher Osten und Nordafrika diejenige mit der insgesamt schlechtesten Situation der Pressefreiheit. In fast der Hälfte der Länder ist die Lage „sehr ernst“. Vielerorts kommt es zu Gewalt und Festnahmen, es herrschen drakonische Gesetze, die wirtschaftliche Lage ist schlecht und häufig beschneiden soziokulturelle Zwänge und Tabus die freie Berichterstattung. Hinzu kommt eine systematische Straflosigkeit bei Gewaltverbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten.

In den Palästinensischen Gebieten (157) sterben derzeit weltweit die meisten Journalistinnen und Reporter. Im massiven Krieg der israelischen Streitkräfte (IDF) gegen die Hamas im Gazastreifen wurden bisher mehr als 100 Medienschaffende getötet, darunter mindestens 22 bei der Ausübung ihrer Arbeit. Seit Beginn des Krieges versucht Israel (101), die Berichterstattung aus Gaza zu unterdrücken. Im Westjordanland haben die israelischen Behörden seit dem 7. Oktober über 30 Medienschaffende inhaftieren lassen. Damit hat Israel seine Position als Nummer eins in der Region an Katar (84) verloren, die Situation der Pressefreiheit gilt mittlerweile als „schwierig“. Zudem starben im Libanon (140) zwei Reporter und eine Reporterin bei mutmaßlich gezielten Luftangriffen der IDF.

Syrien hat vier Plätze verloren und steht nun auf dem vorletzten Platz der Rangliste der Pressefreiheit. In der Kategorie Sicherheit belegt Syrien den letzten Platz. Dennoch drohen Politikerinnen und Politiker in Ländern wie Jordanien (132), der Türkei und dem Libanon syrischen Medienschaffenden mit Ausweisung.

Neben Israel sitzt auch in Saudi-Arabien (166), Syrien und dem Iran (176) eine größere Zahl an Medienschaffenden im Gefängnis. Im Iran hält die Unterdrückung jeglicher Medien an. Wer von den vielen Inhaftierten freikommt, muss häufig eine hohe Kaution hinterlegen und lebt in Gefahr, direkt wieder festgenommen zu werden. In Ägypten (170) sorgte internationaler Druck dafür, dass mehrere Medienschaffende aus dem Gefängnis entlassen wurden. Auch im Jemen (154) kamen vier Journalisten frei, die als Geiseln gehalten wurden, wohl als Ergebnis der Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien. Beide Entwicklungen zeigen, wie sehr die Sicherheit von Medienschaffenden von politischen Interessen abhängt.

Wer in Tunesien (118) den autoritär regierenden Präsidenten kritisiert, riskiert mittlerweile Verhör und Inhaftierung. Das erinnert an die Zeit vor dem Hoffnungsschimmer der Revolution ab Ende 2010. Die Behörden legen zunehmend rote Linien für die Berichterstattung fest oder verbieten sie gänzlich.

Subsahara-Afrika: Wahlberichterstattung als Risiko

Auch in Afrika verschlechtert sich die Lage der Pressefreiheit schrittweise. In fast der Hälfte der Länder südlich der Sahara ist die Situation „schwierig“ oder „sehr ernst“. Seit April 2023 herrscht ein Bürgerkrieg im Sudan (149), in dem mehrere Medienschaffende getötet wurden. Die Lage der Pressefreiheit ist nun „sehr ernst“. 

Bei mehreren Wahlen kam es zu Übergriffen auf Medienschaffende und Redaktionen. In Nigeria (112) wurden Anfang 2023 fast 20 Reporterinnen und Reporter angegriffen. Ebenso erging es zehn Medienschaffenden während Protesten vor den Wahlen in Madagaskar (100). In der Demokratischen Republik Kongo (123) schüchtern Politikerinnen und Politiker häufig unabhängige Redaktionen ein. Der Journalist Stanis Bujakera saß aufgrund einer fingierten Anklage monatelang in Untersuchungshaft und konnte deshalb nicht über die Wahlen berichten. Mittlerweile ist er frei.

In anderen Ländern der Region benutzte die Politik die Medienaufsichtsbehörden – deren Mitglieder häufig Anweisungen der Mächtigen bekommen –, um Medienschaffende kaltzustellen. So setzte rund um die Parlamentswahl in Togo (113) die staatliche Medienaufsicht HAAC willkürliche oder unverhältnismäßige Maßnahmen gegen Medien durch. Simbabwe (116) und Gabun (56) sind zwar auf der Rangliste der Pressefreiheit aufgestiegen, allerdings behinderten die Behörden in beiden Ländern im Vorfeld der Wahlen die Arbeit der Medien und den ungehinderten Zugang zu Informationen. Sie ließen willkürlich das Internet abschalten, ausländische Journalistinnen und Journalisten ausweisen und die Berichterstattung internationaler Medien unterbrechen und behindern.

Problematisch sind die Entwicklungen auch in der Sahelzone. Die Regierungen mehrerer Länder haben die Ausstrahlung internationaler, vor allem französischer Medien wie France 24, RFI und TV5 Monde verboten. Niger (80) fiel aufgrund der drakonischen Maßnahmen der Militärjunta, die im Juli 2023 durch einen Staatsstreich an die Macht kam, um 19 Plätze. Burkina Faso (86) verlor 28 Plätze, und auch in Mali (114) ist journalistische Arbeit oft sehr gefährlich. Eritrea (180) steht auf der diesjährigen Rangliste der Pressefreiheit an letzter Stelle. Unabhängigen Journalismus gibt es in Eritrea nicht, die Regierung sperrt Medienschaffende so lange weg wie kein anderes Land.

Verbesserungen gab es in Tansania (97), wo der Staat nicht mehr so stark in die Arbeit der Medien eingreift wie in den Vorjahren, und in Mauretanien (33). Dort gab es weniger Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten. Dennoch ist die Medienlandschaft noch immer von der Dominanz der staatlichen Medien und der prekären wirtschaftlichen Lage der unabhängigen Medien geprägt.

Nord-, Mittel und Südamerika: Zensur und Gewalt schwächen Journalismus

Auf dem amerikanischen Kontinent hat sich die Lage der Pressefreiheit in mehr als der Hälfte der Länder verschlechtert. Immer mehr Politikerinnen und Politiker schlagen einen aggressiven Ton gegenüber der Presse an. Hetze, Festnahmen und physische Gewalt erschweren die Arbeit von Medienschaffenden. 

Die USA (55) fallen um zehn Plätze. Mit Gesetzen wird vor allem auf lokaler Ebene der Zugang zu Informationen erschwert. In mehreren Fällen griffen örtliche Strafverfolgungsbehörden in die Pressefreiheit ein. Es kam zu Razzien in Redaktionen und mehreren Festnahmen. Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten haben zudem ein beunruhigendes Ausmaß angenommen. Im Jahr 2023 wurde der Journalist Dylan Lyons erschossen. Das Vertrauen der amerikanischen Öffentlichkeit in die Medien nimmt weiter ab. 

Ähnliche Kräfte sind auch in Argentinien (66) am Werk, das um 26 Plätze gesunken ist: Präsident Javier Milei zeigt eine aggressive Haltung gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Seine Absicht, staatliche Medien zu schließen oder zu privatisieren, bedroht die Medienlandschaft. In Ecuador (110) haben die politische Krise und die Gewalt krimineller Banden die Situation der Medienschaffenden dramatisch verschlechtert. Im Januar stürmten Bewaffnete ein TV-Studio und nahmen Journalisten als Geiseln. Das Land rutscht um 30 Plätze ab, stärker als jedes andere Land in der Region.

Mexiko (121) bleibt eines der gefährlichsten Länder der Welt für Medienschaffende – in keinem anderen Land, das sich nicht im Krieg befindet, werden so viele Journalistinnen und Journalisten ermordet. Präsident Andrés Manuel López Obrador hat auch im letzten Jahr seiner Amtszeit keine Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Pressefreiheit umgesetzt. 

Äußerst besorgniserregend ist die Lage weiterhin in Kuba (168), Nicaragua (163) und Venezuela (156), den drei Ländern am unteren Ende der Rangliste der Pressefreiheit. Freier Journalismus ist hier aufgrund der willkürlichen Zensur der Regime nahezu unmöglich. Medienschaffende werden stigmatisiert und sind Schikanen, Verhaftungen und Morddrohungen ausgesetzt. In Guatemala (138) zeugt die Verurteilung des regierungskritischen Journalisten Jose Rubén Zamora zu sechs Jahren Haft von der Kriminalisierung von Medienschaffenden. Viele von ihnen sind bereits ins Exil geflüchtet.

Gute Nachrichten kommen dagegen aus Chile (52), wo die Regierung ein sichereres Umfeld für Journalistinnen und Journalisten schaffen will. Mit der Wahl von Präsident Lula Anfang 2023 hat sich auch in Brasilien (82) das mediale Klima wieder etwas entspannt.

180 Länder im Vergleich – Analyse der Pressefreiheit mit fünf Indikatoren

Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Die Rangliste der Pressefreiheit stützt sich dabei auf fünf Indikatoren: Neben Sicherheit sind dies politischer Kontext, rechtlicher Rahmen sowie wirtschaftliches und soziokulturelles Umfeld. Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt – zum einen auf Grundlage einer qualitativen Untersuchung, für die ausgewählte Journalistinnen, Wissenschaftler und Menschenrechtsverteidigerinnen in den jeweiligen Ländern einen Fragebogen mit etwas mehr als 100 Fragen beantworteten, zum anderen auf Grundlage von quantitativen Erhebungen zur Sicherheit von Journalisten und Medien. Mittels einer Formel wird daraus ein Punktwert zwischen 0 und 100 ermittelt, wobei 0 der schlechtesten und 100 der besten möglichen Wertung entspricht.

Aus der Abfolge der Punktwerte der einzelnen Länder ergibt sich die weltweite Rangliste der Pressefreiheit. Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste der Pressefreiheit 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, um die Komplexität der Verhältnisse, die die Pressefreiheit weltweit beeinflussen, besser widerzuspiegeln. RSF hat die verbesserte Methodik mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung erarbeitet. Aufgrund der geänderten Methodik ist beim Vergleich der Rangliste der Pressefreiheit insgesamt und von einzelnen Ergebnissen vor und nach 2021 Vorsicht geboten. In die Rangliste der Pressefreiheit 2024 fließen Daten vom 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023 ein.



Einladung zum Empfang des No-SLAPP-Bündnisses
Tue, 30. April 2024, 09:00

Unternehmen oder ressourcenstarke Einzelpersonen, die unliebsame Stimmen mittels Abmahnungen bis hin zu langwierigen, teuren Prozessen einzuschüchtern und so eine kritische Öffentlichkeit für einen Sachverhalt zu verhindern suchen – viele Journalist*innen, Forschende oder Umweltaktivist*innen kennen dieses Phänomen.

Ende Februar wurde nun im Europäischen Parlament eine Richtlinie gegen sogenannte SLAPPs verabschiedet, zum Schutz von Akteur*innen in Journalismus, Aktivismus und Wissenschaft vor rechtsmissbräuchlichen Einschüchterungen. Für die Umsetzung in Deutschland verbleiben zwei Jahre Zeit.

Auch hierzulande sind immer wieder Medienschaffende und andere Personen und Organisationen von SLAPPs betroffen. Deshalb hat sich das No SLAPP Bündnis als nationaler Ableger der Coalition Against SLAPPs in Europe gegründet, in dem sich verschiedene journalistische und zivilgesellschaftliche Organisationen gegen SLAPPs engagieren. Aus diesem Bündnis heraus ist wiederum kürzlich die erste Anlaufstelle für Betroffene von SLAPPs in Deutschland entstanden.

Was bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht mit Blick auf die spezifische Situation in Deutschland zu beachten ist, wollen wir mit Expert*innen diskutieren – am 16. Mai 2024 von 18:00 Uhr bis 20:30 Uhr im Europäischen Haus, Unter den Linden 78 in Berlin.

Es laden stellvertretend für das deutsche No-SLAPP-Bündnis ein: Blueprint for Free Speech, Reporter ohne Grenzen, dju in ver.di, Deutscher Journalisten Verband, Green Legal Impact, Aktion gegen Arbeitsunrecht, FragDenStaat, Rettet den Regenwald sowie die Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Programm:

17:30 Uhr Empfang

18:30 Uhr Keynote: Europäische Maßnahmen gegen SLAPPs
Tiemo Wölken MdEP, Berichterstatter des Europäischen Parlaments zur Anti-SLAPP Richtlinie

19:00 Uhr geSLAPPt in Deutschland
Vorstellung der No SLAPP-Anlaufstelle zum Schutz publizistischer Arbeit in Deutschland

19:15 Uhr Einschüchterung mit juristischen Mitteln - Zur Lage in Deutschland
Paneldiskussion mit:
 - Hannah Vos, FragDenStaat
 - Anna Hunger, Kontext-Wochenzeitung
 - Bettina Behrend, Rettet den Regenwald
Moderation: Joschka Selinger, Gesellschaft für Freiheitsrechte

20:15 Uhr Ausklang

Ausführlichere Informationen zum Hintergrund der Veranstaltung finden Sie hier.

Anmeldungen sowie Fragen und Feedback bis zum 10.05.24 gerne an: Philipp Wissing, M.A. - Blueprint for Free Speech philippw@blueprintforfreespeech.net



Jubiläumsband – Fotos für die Pressefreiheit 2024
Mon, 29. April 2024, 10:17

Terror in Nahost, Krieg in der Ukraine und immer mehr antidemokratische Regierungen, die sich teils mit Gewalt an die Macht putschten: 2023 war ein besonders schlechtes Jahr für die weltweite Pressefreiheit. Denn auch die Angriffe gegen Medienschaffende, die aus Konfliktgebieten berichten, werden immer hemmungsloser. „Und doch, so deprimierend die Lage vielerorts ist: Der Kampf für die Pressefreiheit lohnt, unerlässlich für die Demokratie ist er ohnehin“, schreibt Jan-Eric Peters, Kuratoriumsmitglied von Reporter ohne Grenzen, im Grußwort zum neuen Band „Fotos für die Pressefreiheit 2024“, der am 3. Mai erscheint.

Wegschauen ist daher keine Option – und so kämpft die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen nun schon seit 30 Jahren für die Pressefreiheit auf der ganzen Welt. Im diesjährigen Fotoband haben die Fotografen und Autorinnen ganz genau hingesehen: Mit kraftvollen Bildern und einfühlsamen Worten berichten sie über Ereignisse, die uns im vergangenen Jahr bewegt haben, und vor allem auch darüber, wie es den Menschen in den betroffenen Regionen geht.

Im Faktenteil des neuen Fotobuchs werden elf Länder vorgestellt, in denen die Meinungsfreiheit und eine unabhängige Berichterstattung 2023 besonders stark gefährdet war – darunter Ägypten, Afghanistan, Iran und Russland, aber auch Guatemala und Österreich. Dass es auch anders geht, zeigt Irland, das auf Platz zwei der Rangliste der Pressefreiheit aufgestiegen ist.

Den Ereignissen in Israel und Gaza nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober widmet sich der Band in zwei Interviews aus unterschiedlichen Perspektiven: Der Fotojournalist Tamir Kalifa war in Israel unterwegs und erlebte ein Land im Schockzustand. Die palästinensische Fotojournalistin Samar Abu Elouf hat in ergreifenden Bildern das Leid in Gaza dokumentiert. In sieben weiteren Essays beschreiben Autorinnen und Autoren aus der Ich-Perspektive der Fotografinnen und Fotografen, wie diese ihre häufig schwierige Arbeit bewältigen und was sie dazu antreibt.

Als in der sudanischen Hauptstadt Khartum die Kämpfe zwischen zwei rivalisierenden Militärfraktionen ausbrachen, musste auch der Fotojournalist Ala Kheir fliehen. Er konnte nur retten, was er tragen konnte – darunter Teile seiner Kameraausrüstung, mit der er das Geschehen dokumentierte. Dass in der Ukraine trotz des unverminderten russischen Angriffskriegs auch der Alltag weitergeht, hat der Schweizer Fotojournalist Dominic Nahr in eindrücklichen Bildern festgehalten.

Sein brasilianischer Kollege Victor Moriyama versteht sich zugleich als Aktivist für den Erhalt der Natur im Amazonasgebiet. In wirkungsvollen Bildern dokumentiert er die Zerstörung der Wälder sowie den Überlebenskampf der letzten indigenen Völker in der Region. Die Folgen des großen Erdbebens in der Türkei und Syrien hat die britische Fotografin Emily Garthwaite festgehalten. Dabei lenkt sie den Fokus darauf, wie die Betroffenen die Krise mithilfe ihrer Kultur und viel Lebensmut meistern.

Eine andere Art von Überleben präsentiert der indische Fotojournalist Francis Mascarenhas in seinem Essay über die Bewohner eines einsturzgefährdeten Wohnkomplexes mitten in einem schicken Stadtteil von Mumbai. Gewisse Parallelen dazu zeigen sich in den Bildern des französischen Fotografen William Keo, der das Leben in den Banlieues von Paris dokumentiert. Da er selbst dort aufgewachsen ist, hat er einen einzigartigen Zugang.

Den Verfall des Rechtsstaats in ihrem Land hat die polnische Fotojournalistin Agata Szymanska-Medina festgehalten. In ihrem Projekt „Deformierung der Demokratie“ enthüllt sie in Bildern und Dokumenten, wie die PiS-Regierung zunehmend autoritäre Züge annahm.

Insgesamt 25 Fotografinnen und Fotografen haben Reporter ohne Grenzen ihre Werke für diesen Jubiläumsband von „Fotos für die Pressefreiheit“ zur Verfügung gestellt. Reporter ohne Grenzen finanziert sich neben Spenden und Mitgliedsbeiträgen auch durch den Verkauf des Fotobuchs. Der Erlös fließt vollständig in die Pressearbeit und Nothilfe, so wie Anwaltskosten und medizinische Hilfe für verfolgte Journalistinnen und Journalisten.

Ab 4. Mai zeigt das Zentrum für verfolgte Künste in Solingen die Ausstellung „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit. 30 Jahre Reporter ohne Grenzen in Deutschland“ mit Arbeiten von sechs internationalen Fotojournalistinnen und -journalisten, die aus Myanmar, Belarus, Kolumbien, China, Ruanda und Ägypten berichtet haben. Barbara Stauss, die Fotoredakteurin und Projektleiterin unseres Fotobuchs, hat die Ausstellung kuratiert, die bis zum zum 8. September zu sehen ist.



Rangliste der Pressefreiheit 2024
Fri, 26. April 2024, 11:00

Reporter ohne Grenzen (RSF) veröffentlicht am Freitag, 3. Mai 2024, die Rangliste der Pressefreiheit 2024. Sie spiegelt die Situation von Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Ländern und Territorien wider.

In die Wertung fließen Haftstrafen gegen oder Morde an Medienschaffenden ebenso ein wie politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziokulturelle Rahmenbedingungen.

Reporter ohne Grenzen versendet die Pressemitteilung zur neuen Rangliste der Pressefreiheit vorab für Redaktionen am Donnerstag, 2. Mai 2024, spätestens am frühen Nachmittag. Es gilt eine Sperrfrist bis Freitagmorgen (3. Mai) 6:00 Uhr. Die Informationen sind frei für die Freitagsausgaben von Zeitungen. Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von RSF sind bei Beachtung der Sperrfrist schon am 2. Mai möglich.

Auf der RSF-Webseite werden alle Informationen zur Rangliste der Pressefreiheit 2024 ab Ende der Sperrfrist unter www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste abrufbar sein.



Schwierige Zeiten für unabhängige Medien
Thu, 25. April 2024, 17:30

Dreieinhalb Jahre sind vergangen, seit die Revolution in Belarus 2020 gewaltsam niedergeschlagen wurde. Selbst nach den Maßstäben der nunmehr drei Jahrzehnte währenden repressiven Herrschaft Alexander Lukaschenkos war die Härte der darauffolgenden Repressionen verheerend – und hatte unter anderem eine Massenflucht der letzten verbliebenen unabhängigen Medien zur Folge.

Im Exil ist die Lage für belarusische Medien in vielerlei Hinsicht prekär. Neben der finanziell angespannten Situation, ist es eine große Herausforderung, die Verbindung zu den Zielgruppen vor Ort aus dem Exil aufrechtzuerhalten: Websites und soziale Medien sind teilweise blockiert und Bürger:innen in Belarus drohen Strafen, wenn sie „extremistische Inhalte“ teilen oder ansehen.

Hohe Reichweite, lange Verweildauer

Trotz dieser Herausforderungen werden unabhängige Medien aus Belarus von ihrem Publikum nach wie vor sehr geschätzt. Die fünf größten Websites verzeichneten im Dezember 2023 über 17 Millionen Besuche. Im selben Monat betrug die durchschnittliche Verweildauer auf den Websites der führenden belarusischen Medien über 10 Minuten. Diese Zahlen zeigen, dass die belarusische Bevölkerung objektive und vertrauenswürdige Berichterstattung immer noch sehr schätzt, obwohl der Staat im Jahr 2023 schätzungsweise 50 Millionen Euro für Propaganda ausgab.

Der JX Fund hat zusammen mit den Medienforscher:innen von The Fix Research and Advisory einen umfassenden Überblick sowohl über einzelne Medien als auch über den gesamten Sektor erstellt. Der vorliegende Bericht stützt sich auf Daten aus verschiedenen Quellen, einschließlich offener Kanäle, sowie auf Daten, die sowohl von den Medien selbst als auch von Branchenexpert:innen mit uns geteilt wurden.

Veröffentlichung: März 2024
Projektpartner*innen: The Fix, Belarusian Association of Journalists

Das Projekt wurde aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert.

Lesen Sie hier den vollständigen Bericht.



Fotobuchausstellung in Solingen
Thu, 25. April 2024, 14:30

In diesem Jahr wird nicht nur die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen 30 Jahre alt, auch das Fotobuch erscheint zum 30. Mal. Reporter ohne Grenzen (RSF) begeht dieses doppelte Jubiläum mit einer großen Fotobuchausstellung ab dem 4. Mai im Zentrum für verfolgte Künste in Solingen. Dabei stehen Bildstrecken im Fokus, die seit 2017 im RSF-Bildband „Fotos für die Pressefreiheit“ erschienen sind, und die auf unterschiedliche Weise das Thema Verfolgung aufgreifen.

„Viele Arbeiten beschäftigen sich mit dem Widerstand gegen einen repressiven Staatsapparat. Die Menschen in Ägypten, Belarus und Myanmar etwa haben entschlossen für ihre Freiheit demonstriert – selbst auf die Gefahr hin, verhaftet oder getötet zu werden“, sagt Barbara Stauss, Projektleiterin des RSF-Fotobuchs und Kuratorin der Ausstellung. „Dem Fotografen der Bildstrecke aus Myanmar droht sogar selbst Verfolgung, deshalb können seine Bilder nur anonym gezeigt werden.“

Die Ausstellung „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“ wird am Samstag, 4. Mai, um 16 Uhr im Zentrum für verfolgte Künste in Solingen eröffnet. Anwesend sind neben der Kuratorin Barbara Stauss, Fotobuch-Chefredakteurin Gemma Pörzgen und der neuen Geschäftsführung von Reporter ohne Grenzen, Anja Osterhaus und Maik Thieme, auch die Fotografinnen und Fotografen Miguel Angel Sánchez und Nuria Tesón, Anoek Steketee sowie Violetta Savchits.

„Durch die Fotobuchausstellung 'Keine Freiheit ohne Pressefreiheit' im Zentrum für verfolgte Künste möchten wir nicht nur die herausragende Arbeit von Reporter ohne Grenzen würdigen, sondern auch ein starkes Zeichen für die unerschütterliche Verbundenheit zwischen Kunst und Pressefreiheit setzen. Kunst hat die Macht, Grenzen zu überwinden und die Stimme der Unterdrückten zu werden. Diese Ausstellung ist eine Feier der Freiheit der Kunst und ein Aufruf zur Solidarität für alle, die sich für die Freiheit der Presse einsetzen,“ betont Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums für verfolgte Künste.

Als 1991 mit dem Zerfall Jugoslawiens die Balkan-Kriege begannen, wurde in Kroatien Egon Scotland erschossen, Reporter der Süddeutschen Zeitung. In der Folge diskutierte die deutsche Öffentlichkeit über die gefährliche Arbeit von Kriegsberichterstattenden. Wenige Jahre später regte die seit 1985 in Frankreich tätige Organisation Reporters sans Frontières (RSF) an, auch in anderen europäischen Ländern Sektionen zu starten. In Deutschland fand dies schnell Unterstützung, und 1994 wurde Reporter ohne Grenzen in Berlin gegründet.

Im selben Jahr erschien erstmals der Bildband „Fotos für die Pressefreiheit“, um den Aufbau der Organisation über den Verkauf zu finanzieren.  Der neue Bildband „Fotos für die Pressefreiheit 2024“ erscheint am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, und kann hier vorbestellt werden.

Das Museum Zentrum für verfolgte Künste ist ein Entdeckungsmuseum, das sich Künstlerinnen und Künstlern widmet, deren Entfaltungsmöglichkeiten und Werke durch die Diktaturen des letzten Jahrhunderts und totalitäre Regime bis in die Gegenwart hinein blockiert, verhindert und teils vernichtet wurden. Als gattungsübergreifendes Museum erzählt es in seiner Kunst- und Literatursammlung von verschollenen, verlorenen und kaum berücksichtigten Kunstwerken, Geschichten und Schicksalen. Dabei nimmt es auch die Darstellung von Unterdrückung und Verfolgung in verschiedenen Kunstformen wie Malerei, Skulptur, Fotografie und Literatur in den Fokus, um die Vielfalt und die tiefe Wirkung künstlerischer Ausdrucksformen aufzuzeigen.

Die Ausstellung wird gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, den Landschaftsverband Rheinland (LVR), die Gerd-Kaimer-Bürgerstiftung Solingen und unterstützt durch den Förderkreis Zentrum für verfolgte Künste, Solingen e.V. #Wir_erinnern_Wir_gestalten!, Reporter ohne Grenzen, sowie weitere Sponsoren. Medienpartner sind das Solinger Tageblatt und die Funke Mediengruppe.

Den Ablaufplan der Eröffnung finden Sie hier. Pressefotos zur Ausstellung können Sie hier herunterladen. Wenn Sie vorab Interviews vereinbaren möchten, wenden Sie sich bitte an Fabio Niewelt über presse@reporter-ohne-grenzen.de. Den Pressekontakt im Zentrum für verfolgte Künste betreut Daniela Tobias, Kontakt: presse@verfolgte-kuenste.de.



Neue RSF-Geschäftsführung ist komplett
Tue, 23. April 2024, 12:19

Anja Osterhaus verantwortet seit dem 15. April die politische Arbeit und strategische Ausrichtung von Reporter ohne Grenzen (RSF) Deutschland. Gemeinsam mit dem kaufmännischen Geschäftsführer Dr. Maik Thieme bildet sie die neue Geschäftsführung.

„Ich freue mich darauf, gemeinsam mit dem engagierten Team von RSF weltweit für eine freie und unabhängige Presse einzutreten. Die kürzlich veröffentlichte Nahaufnahme zeigt, dass auch in Deutschland pressefeindliche Tendenzen zunehmen“, sagte Anja Osterhaus. „Die Herausforderungen sind groß, und wir haben uns mit Blick auf das 30-jährige Jubiläum von Reporter ohne Grenzen in diesem Jahr viel vorgenommen. Gerade in diesem Superwahljahr braucht es weltweit unabhängige Journalistinnen und Journalisten, die politische Prozesse kritisch begleiten und über sie berichten. Für den Schutz und die Sicherheit dieser Menschen setzt RSF sich täglich ein.“

Anja Osterhaus hatte zuletzt die Programmarbeit bei Oxfam Deutschland geleitet. Davor arbeitete sie im internationalen Sekretariat von Transparency International und war dort für die Arbeit zum Whistleblowerschutz verantwortlich. Mehrere Jahre lebte und arbeitete Osterhaus in Brüssel und leitete dort unter anderem das Büro der internationalen Fairhandelsbewegung. Beim Verein Kairos Europa war sie um die Jahrtausendwende an der Gründung eines Netzwerkes beteiligt, das später zur globalisierungskritischen Organisation Attac wurde. Osterhaus hat Politologie in Berlin und Mexiko-Stadt studiert.

2024 feiert Reporter ohne Grenzen Deutschland sein 30-jähriges Bestehen mit einer Reihe von Veranstaltungen. Die Geschäftsstelle wird in diesem Jahr zudem neue Räumlichkeiten im Haus für Journalismus und Öffentlichkeit PUBLIX beziehen.



Appell von RSF und 90 haitianischen Journalisten
Fri, 19. April 2024, 15:00

Mehr als 90 haitianische Medienschaffende und Reporter ohne Grenzen (RSF) fordern die internationale Gemeinschaft und den neuen Übergangs-Präsidialrat Haitis auf, dem Recht auf Information eine zentrale Rolle bei der Suche nach einer Lösung für die Krise zu geben, die sich in den letzten Monaten in dem Land zugespitzt hat.

Da das Recht auf Information ein grundlegendes Menschenrecht ist, müssen die haitianischen Journalistinnen und Journalisten sowie Nachrichtenmedien geschützt werden, damit das Land nicht zu einer Nachrichtenwüste wird, so RSF und die 90 Medienschaffende in einem gemeinsamen Aufruf vom 16. April.

Wie die Gesamtbevölkerung sind auch haitianische Journalistinnen und Journalisten sowohl von einer beispiellosen Welle der Bandengewalt als auch von einer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krise, die sich seit Dezember letzten Jahres verschärft hat, direkt betroffen.

Sechs Journalisten seit 2022 getötet

Seit 2022 sind sechs haitianische Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet worden. Reporterinnen und Reporter sind ständig Drohungen, Angriffen oder Entführungen ausgesetzt. Die zunehmende Gewalt bleibt aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit völlig unbestraft. Da kriminelle Banden ihre Kontrolle über die Hauptstadt Port-au-Prince ausweiten, sind Journalisten auf einige wenige Viertel beschränkt, in denen sie noch arbeiten können – und das nicht ohne Risiken. Viele sind bereits aus dem Land geflohen.

Die meisten Journalistinnen und Journalisten, die den Appell an die internationale Gemeinschaft und den Übergangsrat unterzeichnet haben, arbeiten in Port-au-Prince oder in angrenzenden Gemeinden. Einige arbeiten für nationale Medien wie Le Nouvelliste, Haïti24 und AlterPresse. Andere sind freiberuflich tätig. Sie arbeiten für Printmedien, Online-Medien, Fernsehen und Radio. Viele von ihnen gehören der Vereinigung der haitianischen Journalisten (Association of Haitian Journalists, AJH) an. Gemeinsam mit RSF schlagen sie Alarm.

Berichterstattung ist mehr denn je notwendig

Haiti befindet sich in einer noch nie dagewesenen Krise. Seit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021 wird das Land von extremer politischer Instabilität und Bandengewalt heimgesucht. Am 12. April, einen Monat nachdem Premierminister Ariel Henry seinen Rücktritt erklärt hatte, wurde offiziell die Einsetzung eines Übergangsrates angekündigt, der die Aufgabe hat, die Sicherheit im Land wiederherzustellen und bis Februar 2026 Wahlen abzuhalten. Der Rat, dessen Mitglieder noch nicht ernannt worden sind, soll einen Premierminister bestimmen, der dann eine Regierung bilden wird.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht Haiti auf Platz 99 von 180 Ländern.



Digitalministerkonferenz: Forderungen von F5
Thu, 18. April 2024, 10:00

Das zivilgesellschaftliche Bündnis F5, bestehend aus den Organisationen AlgorithmWatch, Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., Open Knowledge Foundation Deutschland, Reporter ohne Grenzen und Wikimedia Deutschland, begrüßt die Ziele der ersten Digitalministerkonferenz und stellt seine Forderungen für einen echten Perspektivwechsel in der Digitalpolitik vor. F5 betont die Notwendigkeit einer gemeinwohlorientierten digitalen Transformation, die nachhaltig gestaltet und gleichzeitig eng an gesellschaftliche Ziele geknüpft werden muss, um unsere demokratische Gesellschaft in ihrem Fundament zu stärken und zukunftsfähig zu machen. 

Mit der Gründung der ersten Digitalministerkonferenz (DMK) am 19. April 2024 in Potsdam setzen sich die 16 Bundesländer das gemeinsame Ziel, die digitale Transformation zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger zu gestalten. Wie aus der Selbsterklärung der DMK hervorgeht, soll bei digitalpolitischen Fragen wie der Datennutzung, Cybersicherheit oder digitalen Teilhabe künftig enger zusammengearbeitet werden.

Gemeinwohlorientierte Digitalpolitik unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft

Die Vision eines offenen, freien, verlässlichen und sicheren Internets kann nur durch eine gemeinwohlorientierte Digitalpolitik unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft Wirklichkeit werden. F5 appelliert an die Verantwortlichen der DMK, folgende Forderungen politisch umzusetzen:

  • eine demokratische, offene, inklusive und transparente Digitalpolitik
  • Transparenz bei Algorithmen in Behörden
  • die Bekämpfung algorithmischer Diskriminierung
  • die Modernisierung der öffentlichen IT-Architektur
  • die Förderung offener Bildungsmaterialien
  • die Förderung gemeinwohlorientierter KI-Systeme
  • den Grundrechtsschutz in der Sicherheitsgesetzgebung
  • die effektive Regulierung digitaler Plattformen
  • eine Reform der Anerkennung und Förderung des digitalen Ehrenamts

Bei allen Entscheidungen in der Digitalpolitik müssen drei Grundsätze wegweisend sein: die Stärkung der Menschenrechte im digitalen Raum, das Überwinden der Kleinstaaterei und Fragmentierung sowie die Mitwirkung der Zivilgesellschaft als gemeinwohlorientierte Interessenvertretung. Die Zukunft der digitalen Gesellschaft hängt von mutigen und weitsichtigen Entscheidungen ab. Die erste DMK hat das Potential, ein starkes Signal für eine innovative, demokratische und zukunftsweisende Digitalpolitik zu setzen.

„Die Digitalministerkonferenz verfolgt den Anspruch, zu einer Konferenz in der Digitalpolitik zu werden, die sich an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert. Eine bessere Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund ist sehr zu begrüßen, um beispielsweise der Fragmentierung bei Sicherheitsgesetzen und dem Datenschutz in den Ländern ein Ende zu setzen“, sagt Katja Gloger, Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen. „Die Entscheidungen der Verantwortlichen müssen sich dabei klar an den Grundrechten und am Gemeinwohl orientieren. Bei Sicherheitsgesetzen gilt es, die vertrauliche Kommunikation von Medienschaffenden besonders zu schützen, um journalistische Quellen nicht zu gefährden.“

Über das Bündnis F5

Die F5-Organisationen, Reporter ohne Grenzen, AlgorithmWatch, Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V., Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland, bilden einen breiten Querschnitt der (digitalen) Zivilgesellschaft und bündeln ihre inhaltliche Expertise. Maßgabe einer demokratischen, inklusiven und transparenten Digitalpolitik muss es sein, Gemeinwohl ins Zentrum zu stellen. Das kann nur gelingen, wenn mehr Stimmen gehört und beteiligt werden. Das Ziel des Bündnisses ist die Zukunftsfähigkeit einer demokratischen digitalen Gesellschaft. 

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Ländern.



Vertrauen Sie der freien Presse!
Thu, 18. April 2024, 08:30

In diesem Jahr wählt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ein neues Staatsoberhaupt oder eine neue Regierung, nimmt an Regional- oder Kommunalwahlen teil. Gleichzeitig begeht die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen (RSF) ihr 30-jähriges Bestehen im Kampf für Pressefreiheit weltweit. Vor diesem Hintergrund startet RSF eine neue öffentlichkeitswirksame Kampagne. „Erste Worte“ stellt die Bedeutung unabhängiger Medien für den Erhalt der Demokratien in den Fokus. Die Kampagne betrachtet die Versprechen in den jeweiligen Antrittsreden der Präsidenten Putin (Russland), Erdogan (Türkei) und Maduro (Venezuela) und vergleicht sie mit der heutigen Situation in diesen drei Ländern.

„Zu ihrem Amtsantritt versprechen Politikerinnen und Politiker viel: Meinungs- und Pressefreiheit, die Achtung der Menschenrechte, politische Teilhabe der Bevölkerung. Aber wir sehen, dass es oft bei schönen Worten bleibt. In vielen Ländern der Welt wird die Pressefreiheit ausgehöhlt, werden Menschenrechte mit Füßen getreten“, sagt Sylvie Ahrens-Urbanek, Teamleitung Kommunikation bei RSF. „Der freien Presse kommt eine zentrale Rolle zu: Sie deckt auf, kontrolliert, sorgt für Transparenz und informiert die Bevölkerung.“

Im Zentrum der Kampagne stehen drei Videos, die Auszüge aus der jeweils ersten Rede der Präsidenten Putin (2000), Maduro (2013) und Erdogan (2014) in Beziehung zur heutigen politischen Situation in Russland, Venezuela und der Türkei setzen: Was hat sich die Bevölkerung zum Zeitpunkt der Antrittsrede erhofft, wie ist es heute um die Presse- und andere Freiheiten in diesen Ländern bestellt? Die Videos zeigen: Der Verlust persönlicher Freiheiten kommt schleichend. Deshalb braucht es unabhängige Journalistinnen und Journalisten, die politische Prozesse kritisch begleiten und über sie berichten.

In Russland hat der Angriffskrieg Moskaus auf die gesamte Ukraine unabhängige Berichterstattende fast ausnahmslos ins Exil gezwungen. In der Türkei steht die einst pluralistische Medienlandschaft inzwischen nahezu vollständig unter Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Geschäftsleute. Und in Venezuela sorgen restriktive Gesetze dafür, dass jede Form der kritischen Berichterstattung geahndet werden kann.

Die Kampagne wurde von der internationalen Agentur Innocean konzipiert und in Zusammenarbeit mit Stink Films Berlin umgesetzt. „Reporter ohne Grenzen Deutschland wird in diesem Jahr 30 Jahre alt, gleichzeitig befinden wir uns in einem Superwahljahr. Deshalb wollen wir alle Menschen daran erinnern, dass eine freie Presse die Voraussetzung ist für Demokratien mit informierten Wählerinnen und Wählern“, sagt Gabriel Mattar, CCO von Innocean Berlin. „Denn der Verlust der Freiheit ist anfangs nicht immer offensichtlich.“

Gedreht wurde in Georgien und Brasilien, da dies in der Türkei, Russland und Venezuela aufgrund der jeweiligen autokratischen Systeme heute sehr schwierig gewesen wäre. „Für uns als Filmemacher ist es toll, Projekte zu betreuen, die sich für die Demokratie und die Unantastbarkeit einer freien Presse einsetzen. Wir sehen, dass das Erzählen von Geschichten die Gesellschaft und den Schutz unserer Freiheiten beeinflusst“, sagt Moritz Merkel, Executive Producer bei Stink Films Berlin. „Es geht nicht nur darum, Filme zu machen. Es geht darum, Stimmen zu verstärken, die herausfordern, inspirieren und Veränderungen anstoßen. Sie erinnern uns daran, dass die Presse auf der Suche nach der Wahrheit eine starke Kraft für die Demokratie ist“, ergänzt Florian Hülbig, Head of Stink Rising Berlin.

Die Kampagne wird von Plakaten flankiert, die ebenfalls erste Worte aus den Präsidentenreden visualisieren. Plakate und Videos enden mit dem kraftvollen Aufruf „Vertrauen Sie der freien Presse. Nicht schönen Worten“ und sollen ein Plädoyer für Presse- und Informationsfreiheit im Superwahljahr sein.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit rangiert Venezuela auf Platz 159 von 180 Staaten, Russland auf Rang 164 und die Türkei auf Platz 165. 



Radio Dreyeckland: Prozessauftakt gegen Redakteur
Wed, 17. April 2024, 13:30

Dürfen Redakteurinnen und Redakteure in ihrer Berichterstattung auf die Internetauftritte verbotener Vereinigungen verlinken? Welche Rolle spielt die Pressefreiheit, wenn journalistische Arbeit auf strafrechtliche Verfahren trifft? Um diese Kernfragen dreht sich der Prozess gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland (RDL), der am Donnerstagmorgen, 18. April, am Landgericht Karlsruhe beginnt. Der RDL-Journalist schrieb einen Artikel über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen das Portal linksunten.indymedia und verlinkte in diesem Zusammenhang deren archivierte Website. linksunten.indymedia war zuvor als Vereinigung verboten worden. Grundsätzlich ist die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung strafbar. Reporter ohne Grenzen (RSF) betont aber, dass die Verlinkung eines solchen Archivs im Rahmen der Berichterstattung von der Pressefreiheit geschützt ist. 

„Wenn Berichterstattung wie im Fall von Radio Dreyeckland kriminalisiert wird, ist das nicht nur absurd, sondern gefährlich für die Pressefreiheit und damit kontraproduktiv für eine lebendige Demokratie”, sagte Nicola Bier, Referentin für Recht bei RSF. „Dass die Justiz in Baden-Württemberg das Setzen einer relevanten Verlinkung im Rahmen journalistischer Berichterstattung  als strafbare Unterstützung der verlinkten Inhalte wertet, ist schwer nachvollziehbar. Eine deutliche Anerkennung dieses Eingriffs in die Pressefreiheit in der nun anstehenden Hauptverhandlung käme zwar spät im Verfahren, ist aber umso nötiger. Nur so kann das Gericht verhindern, dass das Vorgehen gegen den freien Radiosender zu einer großen Verunsicherung bei Redakteurinnen und Redakteuren in ganz Deutschland führt.”

Zum Hintergrund des Verfahrens

Bereits 2017 wurde das Internetportal linksunten.indymedia verboten. Hierfür argumentierte das Bundesinnenministerium, dass das Portal von einem linksradikalen Verein betrieben werde – somit konnte das umstrittene Medium als Verein nach dem Vereinsgesetz verboten werden. Anfang 2023 wurden dann die Redaktionsräume des freien Senders Radio Dreyeckland in Freiburg sowie die Wohnungen zweier Journalisten durchsucht. Sie hatten in einem Artikel auf das statische Archiv von linksunten.indymedia verlinkt, das zu diesem Zeitpunkt einfach per Internetsuche auffindbar war. 

Statisch bedeutet in diesem Fall, dass die Interaktionsfunktion der ehemaligen Open-posting-Plattform zu diesem Zeitpunkt bereits eingefroren war. Es war also nicht mehr möglich, sich über die Seite zu verbotenen Aktivitäten zu verabreden oder weitere möglicherweise strafbare Inhalte zu verbreiten. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sah darin eine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung und nahm Ermittlungen gegen die Berichterstattenden auf. Der Artikel mit der Verlinkung, die Anlass für die Durchsuchung war, wurde nie von der zuständigen Landesmedienbehörde beanstandet und findet sich weiter auf der Seite des Senders

Im Mai 2023 beschloss das Landgericht Karlsruhe, die zwischenzeitlich gegen RDL-Redakteur Fabian Kienert erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft nicht zuzulassen. Ein zentrales Argument des Gerichts war die Pressefreiheit, die die Verlinkung des Archivs im Rahmen der Berichterstattung schütze. Doch die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein – mit Erfolg: Im Juni 2023 ließ das Oberlandesgericht die Anklage zu. Der Artikel mit der Verlinkung sei nicht von der Pressefreiheit gedeckt, da die verbotene Vereinigung noch existiere und der Artikel des Radiosenders als „Propaganda“ interpretiert werden könne. Im Falle einer Verurteilung drohen Fabian Kienert bis zu drei Jahre Gefängnis. Insgesamt sind neun Prozesstage angesetzt, drei davon als Reservetermine.

Im Prozess wird es insbesondere um die Frage gehen, ob das Archiv von linksunten.indymedia wirklich die Fortsetzung der verbotenen Vereinigung darstellt und so die Verlinkung des Archivs eine Unterstützung der Vereinigung darstellt. RSF betont, dass ein wesentlicher Gegenstand der Verhandlung die Bedeutung und Reichweite der Pressefreiheit sein muss, die journalistische Arbeit grundsätzlich schützt. Nur vor diesem Hintergrund kann beurteilt werden, ob sich der angeklagte Journalist durch die Verlinkung tatsächlich strafbar gemacht haben kann.

Bedeutung für die Pressefreiheit

RSF ist überzeugt: Wo Inhalte dargestellt werden, um umfassend zu berichten und die Diskussion über eine mögliche Strafbarkeit zu ermöglichen, kann die Verlinkung selbst nicht ohne Weiteres strafbar sein. Strafverfahren, vor allem im politischen Kontext, erzeugen oft großes gesellschaftliches Interesse. Journalistische Berichterstattung über solche Verfahren soll die Meinungsbildung und Diskussionen über solche Verfahren ermöglichen und so die Arbeit einer rechtsstaatlichen Justiz legitimieren. 

Das Verfahren gegen Fabian Kienert beeinträchtigt nicht nur den Angeklagten selbst, sondern hat eine einschüchternde Wirkung auf alle, die über strafrechtliche Themen berichten möchten. Wo Berichterstattung aus Angst vor strafrechtlichen Ermittlungen unterbleibt, ist die Informationsfreiheit aller beeinträchtigt. Das Vorgehen gegen Mitglieder von Radio Dreyeckland ist hier kein Einzelfall: Auch die Telekommunikationsüberwachung des Pressetelefons der Letzten Generation wurde ohne ausreichende Berücksichtigung der Pressefreiheit angeordnet. Nun fordern betroffene Berichterstattende die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Überwachung ein, unterstützt von RSF und der Gesellschaft für Freiheitsrechte. 

Dass die Verfassungsmäßigkeit dieser strafrechtlichen Maßnahmen überhaupt angezweifelt und diskutiert wird, ist in beiden Fällen nur aufgrund von Öffentlichkeitsarbeit, juristischem Beistand und umfassender Unterstützung der Betroffenen aus der Zivilgesellschaft möglich. In einem Rechtsstaat muss die Justiz jedoch von sich aus den Grundrechten eine ausreichende Bedeutung beimessen und entsprechend handeln. RSF steht für die Perspektive ein, dass bei Eingriffen in die Pressefreiheit stets nicht nur die Medienschaffenden selbst, sondern die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit betroffen ist. Denn die Informationsfreiheit aller verhält sich spiegelbildlich zur Pressefreiheit der Medienschaffenden.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Ländern. Am 3. Mai 2024, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht RSF die aktualisierten Ranglistenplätze.



RSF-Bericht: Repression über Grenzen hinweg
Wed, 17. April 2024, 11:10

Vor nicht einmal drei Wochen wurde ein iranischer Journalist in London auf offener Straße niedergestochen. Reporter ohne Grenzen (RSF) hat am Mittwoch, 17. April 2024, einen Bericht über die zunehmende grenzüberschreitende Repression gegenüber iranischen Medienschaffenden im Vereinigten Königreich veröffentlicht. Dort lebt und arbeitet ein Großteil der Journalistinnen und Journalisten, die den Iran angesichts der vielfältigen Einschränkungen der Pressefreiheit verlassen haben. Hinter vielen Fällen von transnationaler Repression stecken die iranische Regierung oder ihr zugehörige Stellen selbst. RSF fordert Teheran auf, alle derartigen Angriffe auf die Presse einzustellen. Die britische Regierung wie auch die Regierungen anderer Länder, in denen iranische Medienschaffende arbeiten, müssen sicherstellen, dass diese innerhalb der Landesgrenzen frei und ohne Angst arbeiten können. Auch in Deutschland wurden iranische und iranischstämmige Journalisten und Reporter bereits Opfer transnationaler Repression.

„Dieser Bericht sollte ein Weckruf für die britischen Behörden und für die Demokratien weltweit sein", sagte Fiona O'Brien, Leiterin des RSF-Büros in London. „Dass die im Exil lebenden iranischen Journalistinnen und Journalisten trotz solcher Bedrohungen weiter berichten, zeigt ihren Mut. Um sie noch besser zu schützen, müssen die jeweiligen Regierungen, Strafverfolgungsbehörden, Social-Media-Plattformen und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber noch stärker zusammenarbeiten.“

Seit Jahrzehnten geht die brutale Unterdrückung des unabhängigen Journalismus im Iran selbst mit der systematischen Verfolgung von Medienschaffenden einher, die aus dem Ausland über den Iran berichten. Neben dem Vereinigten Königreich gibt es Berichte über Einschüchterungen und Angriffe, online wie offline, aus den USA, Frankreich, Deutschland oder Schweden.

London ist die Heimat großer persischsprachiger Sender und auch wegen der großen Zahl iranischer Medienschaffender ein häufiges Ziel solcher Angriffe. Für den vorliegenden Bericht hat RSF mit Dutzenden iranischen Exiljournalistinnen und -journalisten, die im Vereinigten Königreich arbeiten, gesprochen. Er stützt sich auf eine qualitative Umfrage unter Mitarbeitenden verschiedener Nachrichtenmedien, darunter BBC News Persian, Iran International und Manoto, sowie auf mehr als 20 Interviews mit Journalistinnen und Arbeitgebern. Besonders Iran International stand in der Vergangenheit im Visier Teherans.

Der Bericht zeigt, dass das Ausmaß der grenzüberschreitenden Bedrohung beispiellos ist, vor allem im Online-Bereich stark zugenommen hat und mit enormen beruflichen und persönlichen Kosten verbunden ist. Weibliche Medienschaffende sind besonders betroffen. Der Bericht zeigt auch, dass die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Unterdrückung iranischer Medien im Vereinigten Königreich von der Regierung, den Strafverfolgungsbehörden oder den sozialen Medienplattformen nicht angemessen berücksichtigt werden.

Bedrohungen auch in Deutschland

Im Januar machte der in Deutschland lebende iranische Journalist Farhad Payar einen Fall transnationaler Repression öffentlich. Payar ist Redaktionsleiter des Iran Journal und langjähriger früherer Mitarbeiter der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle. Die Behörden im Iran hatten seine Nichte Ghazaleh Zarea unter anderem wegen der angeblichen Zusammenarbeit mit „antirevolutionären Ausländern“ – gemeint war ihr Onkel Farhad Payar – zu drei Jahren Haft verurteilt. RSF hatte dieses Vorgehen damals aufs Schärfste verurteilt. Mittlerweile ist die Haft- in eine Geldstrafe umgewandelt worden.

Eine Reihe iranischer Journalistinnen und Journalisten in Deutschland hatten gegenüber RSF bestätigt, dass Bedrohungen und Attacken gerade nach dem Beginn der „Frau-Leben-Freiheit“-Proteste stark zugenommen haben, besonders im digitalen Bereich.

Im Iran selbst sitzen derzeit 20 Medienschaffende in Haft. Nilufar Hamedi und Elahe Mohammadi wurden zwar am 14. Januar 2024 gegen hohe Kaution aus der Haft entlassen, allerdings direkt erneut angeklagt. Die beiden Journalistinnen hatten als erste über das Schicksal der kurdischen Studentin Jina Mahsa Amini berichtet, die am 16. September 2022 in Polizeigewahrsam ums Leben kam.

In den iranischen Gefängnissen kommt es immer wieder zu Folter und schweren sexuellen Misshandlungen auch gegenüber Medienschaffenden. Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi wurde 2023 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und wird weiterhin schikaniert, weil sie sich auch aus dem Gefängnis heraus für ihre inhaftierten Kolleginnen eingesetzt hat.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht der Iran auf Platz 177 von 180. Die neue Rangliste 2024 erscheint zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2024.



RSF kritisiert Verfahrenseinstellung nach Attacke
Tue, 16. April 2024, 12:00

Mehr als zehn Männer griffen im Februar 2022 in Dresden-Laubegast am Rande einer Demonstration im verschwörungsideologischen Milieu insgesamt sechs Medienschaffende, eine Begleitschützerin und einen Begleitschützer an. Gegen vier der Angreifer wurde Anklage erhoben. Das Verfahren gegen einen von ihnen wurde nun vor dem Amtsgericht Dresden wegen versuchter Körperverletzung und Nötigung gegen eine Geldauflage eingestellt. Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert diese Einstellung des Verfahrens sowie den fehlenden Einsatz der Ermittlungsbehörden und des Gerichts für den Schutz der Pressefreiheit. Zudem wirft der Umgang der Behörden mit den Betroffenen viele Fragen auf.

„Täter-Opfer-Umkehr, mangelnder Zeugenschutz und der Unwille der Behörden, den pressefeindlichen Hintergrund zu erkennen: Die betroffenen Reporter und weitere Prozessbeobachtende schildern uns ein Verfahren, das absolut kein Bild konsequenter Strafverfolgung dieser Übergriffe auf Berichterstattende zeigt. Ausgerechnet in einem Bundesland, in dem sich Journalistinnen und Journalisten zum Teil nur mit Begleitschutz zu Versammlungen begeben können, versagen die Strafverfolgung und die Gerichte dabei, Angriffe auf die Pressefreiheit als solche anzuerkennen“, sagte Martin Kaul, RSF-Vorstandssprecher.

Hintergründe der Attacke

Am 13. Februar 2022, dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens, liefen um die 200 Menschen bei einem „Laubegaster Sonntagsspaziergang” mit, einer nicht angemeldeten Versammlung ohne Polizeibegleitung, die im verschwörungsideologischen Kontext der Pandemie-Situation verortet wird. Nach Berichten der Sächsischen Zeitung waren auch Akteure wie Marcus Fuchs von der „Initiative Querdenken Dresden” und Max Schreiber, Pirnaer Kreisvorsitzender der rechtsextremen „Freien Sachsen“, unter den Teilnehmenden.

Während der Berichterstattung von der Veranstaltung mussten sechs Fotoreporter ihre Arbeit abbrechen, da sie wütend beschimpft, bedroht und weggejagt wurden: Einige der Angreifer, von denen mehrere nach Aussage der lokalen Reporter bekannte und langjährig aktive Neonazis sind, verfolgten die Fotojournalisten fast einen Kilometer durch den Stadtteil Laubegast. Mit dabei waren eine ehrenamtliche Begleitschützerin und ein Begleitschützer von Between The Lines, einer Initiative aus Sachsen, die freiwillige Begleitung an Reporterinnen und Reporter vermittelt. Diese begleiten die Medienschaffenden zu Versammlungen in Sachsen und versuchen sie zu schützen und zu deeskalieren. Immer häufiger müssen sie auch angezeigte Gewalttaten bezeugen. 

Am 13. Februar 2022 in Dresden kam es nach Aussage der Betroffenen zu Beleidigungen, Drohungen, Tritten und einem Schlag mit einem Fahrradschloss auf den Begleitschützer, der als Nebenkläger im Prozess auftritt. Es ging unter anderem eine Begleitschützerin zu Boden, woraufhin vier der Angreifer auf die am Boden liegende Frau zu rannten. Sie konnten nur durch Pfeffersprayeinsatz des anderen Begleitschützers daran gehindert werden, zuzutreten. Die meisten Angreifer brachen ihre Beteiligung erst ab, nachdem sie durch das Abwehrspray angriffsunfähig waren. Die Betroffenen zeigten die Attacken an.

Das umstrittene Verfahren

Obwohl die Reporter die Polizei vor dem politischen „Spaziergang” über ihre geplante Berichterstattung informiert und auch währenddessen immer wieder alarmiert hatten, traf die Polizei erst nach dem Vorfall ein, verdächtigte sie dann jedoch selbst, Straftaten begangen zu haben, und erstellte auf offener Straße Fotografien der betroffenen Reporter. Später ließ ein Polizist aktenkundig machen, dass hier eine „Art Gegenprotest, in welchem auch Pressevertreter anwesend waren", zur Eskalation geführt habe. Die Staatsanwaltschaft ermittelte anschließend sowohl gegen die Angreifer als auch wegen gefährlicher Körperverletzung gegen zwei Begleitschützende und einen Journalisten und stellte das Verfahren erst ein Jahr später, im Februar 2023, ein.

Im Verfahren gegen die Angreifer erhob die Staatsanwaltschaft Dresden schließlich gegen vier der mehr als zehn Tatbeteiligten Anklage. Darunter ist die regionale Führungsperson der rechtsextremen Partei „Freie Sachsen“, Max Schreiber. Was die Betroffenen besorgt: In beiden Akten tauchen immer wieder persönliche Daten der Opfer auf – trotz beantragter und auch angeordneter Zeugenschutzmaßnahmen.

Über zwei Jahre nach dem Angriff begann nun am Freitag, 12. April, der Prozess gegen zwei der vier angeklagten Angreifer. Den 45 und 47 Jahre alten Angeklagten wird Nötigung und versuchte Körperverletzung vorgeworfen. Zwei weitere werden sich später im Jahr für diesen Angriff und wegen weiterer Vorwürfe in einem getrennten Verfahren vor Gericht verantworten müssen.

Einstellung des Verfahrens, ohne Betroffenen zu hören 

Einer der beiden, der den Begleitschützer mehrmals getreten hatte, gab vor Gericht an, nur in die Situation geraten zu sein, weil er deeskalieren wollte. Er behauptete vor der Richterin auch, zum ersten Mal auf so einer Versammlung gewesen zu sein. Nach Berichten der Sächsischen Zeitung war er jedoch bereits spätestens im Oktober 2021 als Redner auf einer Querdenker-Bühne vor dem Kulturpalast aufgetreten. Dennoch wurde das Verfahren gegen den nicht vorbestraften Mann gegen eine Geldauflage von 1.000 Euro an Reporter ohne Grenzen eingestellt. Die Entscheidung wurde unter anderem vom Anwalt der Nebenklage kritisiert, da sein Mandant, der verletzte Begleitschützer von Between The Lines, gar nicht vom Gericht gehört worden sei.

Auch der zweite Angeklagte, dessen Prozess am 29.04. fortgeführt wird, beharrt auf seiner Unschuld. Mehrere Fotojournalisten und die Begleitschützerin können den Schlag mit einem Fahrradschloss auf den Begleitschützer jedoch bezeugen. RSF fordert das Amtsgericht Dresden auf, in diesem noch anhängigen und dem weiteren anstehenden Verfahren die Gefährdung für und die Auswirkungen auf die Pressefreiheit angemessen zu berücksichtigen. Taten wie die hier angeklagten müssen als Angriffe auf das Recht auf Information gesehen werden. 

Ein Urteil oder Freispruch hat nicht nur Folgen für die Betroffenen, sondern auch eine Signalwirkung über den Einzelfall hinaus. RSF setzt sich dafür ein, dass die Rechtsanwendung die Pressefreiheit stärkt und journalistische Arbeit schützt, anstatt von Berichterstattung abzuschrecken. Medienschaffende müssen sich darauf verlassen können, dass Angriffe gegen sie von der Strafverfolgung ernst genommen werden.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Ländern.



Reform würde Journalismus kriminalisieren
Tue, 16. April 2024, 09:00

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor: Verurteilte Reporterinnen und Reporter könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die italienische Regierung auf, der Empfehlung des Europarats zur Bekämpfung von Einschüchterungsklagen nachzukommen und ein Gesetz ohne Haftstrafen oder die unverhältnismäßige Sanktion der erzwungenen Aussetzung journalistischer Arbeit zu verabschieden.

„Jeder Mensch hat das Recht, sich gegen Verleumdung und üble Nachrede mit juristischen Mitteln zur Wehr zu setzen. Wir sehen in diesem Reformvorhaben jedoch einen Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken. Denn dieses würde in seiner jetzigen Form ein mehrmonatiges Berufsverbot für Journalistinnen und Journalisten ermöglichen, die wegen angeblicher Falschberichterstattung verurteilt worden sind. RSF beobachtet die Entwicklungen in Italien mit Sorge“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger.

Hintergründe zur Reform

Der im Januar 2023 von Senator Alberto Balboni, einem Mitglied der postfaschistischen Fratelli d’Italia – der größten Partei in der Regierungskoalition unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – vorgeschlagene Gesetzentwurf würde die Forderungen eines Urteils des italienischen Verfassungsgerichtes aus dem Jahr 2021 umsetzen, das Artikel 13 des Pressegesetzes von 1948 als verfassungswidrig eingestuft hatte. In Italien ist Verleumdung nicht nur ein zivil-, sondern auch ein strafrechtlicher Tatbestand, der im Fall einer Verurteilung bis zu sechs Jahre Haft vorsieht. Doch gemäß eines am 11. April 2024 bekannt gewordenen Änderungsantrages von Senator Gianni Berrino (Fratelli d'Italia) könnten weiterhin Haftstrafen von bis zu vier Jahren in das neue Gesetz eingeschrieben werden.

Allerdings würde Balbonis Reformvorschlag, der von den Regierungsparteien unterstützt wird, im Falle einer Verurteilung wegen Verleumdung eine weitere Sanktion einführen: Das Verbot, als Journalistin oder Journalist zu arbeiten – für bis zu sechs Monate. Italien würde damit gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstoßen.

Da es sich bei journalistischen Tätigkeiten um die berufliche Ausübung eines Grundrechts, nämlich der Meinungsfreiheit, handelt, kann sie nicht a priori verboten werden. Eine solche Strafe würde gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und gegen die Bestimmungen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights) verstoßen.

Mit der vorgeschlagenen Änderung wird auch die Höhe der Geldstrafe für Verleumdung von etwa 1.000 Euro auf 5.000 bis 10.000 Euro deutlich erhöht. Der Bußbetrag kann auf 50.000 Euro erhöht werden, wenn davon ausgegangen wird, dass es sich um eine wissentliche Veröffentlichung falscher oder diffamierender Inhalte handelt.

Einhaltung des europäischen Rechts

Am 5. April nahm das Ministerkomitee des Europarats eine Empfehlung zur Bekämpfung von SLAPPs (Strategic Lawsuits against Public Participation) an, in der die Mitgliedstaaten, darunter auch Italien, aufgefordert werden, „umfassende und wirksame Strategien zur Bekämpfung von SLAPPs“ zu entwickeln. Darin werden unter anderem zehn Indikatoren zur Identifizierung sogenannter Knebelklagen genannt, darunter die „Unverhältnismäßigkeit, Übertreibung oder Unangemessenheit“ der geforderten Rechtsmittel.

Unter anderem werden die Mitgliedstaaten in der Empfehlung aufgefordert, rechtliche Bestimmungen einzuführen, die es ermöglichen, SLAPPs schnell abzuweisen und die Opfer von SLAPPs zu unterstützen. Diese Empfehlung steht im Einklang mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2021. Einige Bestimmungen daraus sind nun im Rahmen der von der EU im Dezember letzten Jahres verabschiedeten Anti-SLAPP-Richtlinie rechtsverbindlich.



Bundesregierung muss Verantwortung annehmen
Fri, 12. April 2024, 14:30

Zensur in Mali: Die oberste Kommunikationsbehörde des westafrikanischen Landes hat die Berichterstattung über Parteien und politische Aktivitäten von Verbänden verboten. Seit den Staatsstreichen von 2020 und 2021 regiert eine Militärjunta das Land. Für Journalistinnen und Journalisten ist die Sahelzone eine der tödlichsten Regionen der Welt. Die am 7. November vergangenen Jahres von einer bewaffneten Gruppe entführten Journalisten, der Direktor des Community Radios Coton aus Ansongo, Saleck Ag Jiddou, sowie ein Moderator von Coton, Moustapha Koné, werden nach wie vor vermisst. Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüßt Signale der Bundesregierung, Medienschaffende in Mali zu unterstützen und, etwa zukünftig im Rahmen der neuen Hannah-Arendt-Initiative, zu schützen.

„In Mali und der gesamten Sahelzone ist journalistische Arbeit angesichts von Militärregierungen und Terror oft sehr gefährlich“, sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Die Bundeswehr unterhielt während ihres Einsatzes in Mali Verbindungen zu Journalistinnen und Journalisten vor Ort. Es steht zu befürchten, dass sie gefährdet sind. Die Bundesregierung sollte ihre Verantwortung für Medienschaffende in Mali annehmen, etwa indem sie bei Bedarf Unterstützung anbietet. Jetzt braucht es mehr als nur Signale.“

Im Dezember 2023 endete die UN-Friedensmission MINUSMA in Mali, zugleich verließen die letzten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr das Land. Die Bundesregierung antwortete Ende Februar dieses Jahres auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Situation der Medienfreiheit und von Journalistinnen und Journalisten in Mali. Zu einer Verantwortung Deutschlands gegenüber Medienschaffenden, die mit der Bundeswehr während ihres Einsatzes in Mali zusammenarbeiteten, bekennt sie sich darin nicht. Jedoch betont sie, auch nach dem Ende der MINUSMA einen Beitrag zur Unterstützung der Bevölkerung leisten zu wollen. Zudem bekannten sich die Mitglieder der Sahel-Allianz unter deutschem Vorsitz Ende 2023 dazu, Medienarbeit und die Bereitstellung von faktenbasierten Informationen ins Zentrum ihrer Arbeit zu rücken.

Bundeswehr unterhielt Verbindung zu Radiostationen

Zwar waren keine malischen Medienschaffenden direkt bei der Bundeswehr angestellt. Aus der Antwort der Bundesregierung geht jedoch hervor, dass das deutsche Einsatzkontingent bei MINUSMA über Jahre hinweg Verbindung zu Radiostationen unterhielt. Auch im Bereich der Medien-Entwicklungszusammenarbeit bestanden zahlreiche Verbindungen, die nach dem Abzug der Bundeswehr weiter ausgebaut werden. So plant die Bundesregierung den Aufbau eines Mediennetzwerks, um Desinformationskampagnen entgegenzuwirken.

RSF begrüßt den Anspruch, unabhängigen Journalismus in der Region zu unterstützen. Gleichzeitig fordert die Organisation die Bundesregierung auf, sich ein detaillierteres Bild über die Gefahrensituation von Journalistinnen und Journalisten zu verschaffen und sich für ihren Schutz einzusetzen. Ohnehin sollte Schutz ein Kernbestandteil jeglicher Medien-Entwicklungszusammenarbeit sein. Die Antwort der Bundesregierung enthält keine Aussage dazu, ob und inwiefern Medienschaffende durch die Zusammenarbeit gefährdet wurden. Insbesondere sollte sie den Verbleib der Medienleute, mit denen die Bundeswehr und deutsche Organisationen in Kontakt standen, überprüfen und bei Bedarf Unterstützung gewährleisten.

Hannah-Arendt-Initiative soll Gefährdeten Schutz bieten

Als Antwort auf die Frage nach Aufnahmemöglichkeiten von gefährdeten Journalistinnen und Journalisten in Deutschland verweist die Bundesregierung auf die Hannah-Arendt-Initiative (HAI). Ziel ihres unter anderem mit Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien initiierten Nothilfemoduls ist es unter anderem, Medienschaffende weltweit zu schützen. RSF begrüßt ausdrücklich die Erwähnung der HAI und die damit verbundene Möglichkeit der Aufnahme von Medienschaffenden aus Mali nach §22 Satz 2 AufenthG.

Als beratend an der Initiative beteiligte Organisation sieht RSF jedoch noch Klärungs- und Handlungsbedarf seitens der beteiligten Behörden. Auch bleibt die Zugänglichkeit der HAI für Medienschaffende vor Ort unklar. Sofern sie nicht bereits Kontakt zu Botschaften und NGOs haben, erfahren sie nicht, an wen sie sich wenden können. Hinzu kommt eine lange Bearbeitungszeit für Aufnahmeanträge, das selbstgesteckte Ziel einer Bearbeitungszeit von zwei bis sechs Wochen ist nicht realistisch. Im Oktober hatte RSF über das HAI-Nothilfemodul in einer Pilotphase Fälle von akut bedrohten Medienschaffenden – allerdings nicht aus Mali – eingereicht; von diesen ist bislang noch niemand nach Deutschland eingereist.

Die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen nach der Situation von Medienschaffenden in Mali unterstreicht die Relevanz der HAI. Umso wichtiger ist es, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, die HAI langfristig und nachhaltig aufzusetzen.  

Auf der RSF Rangliste der Pressefreiheit steht Mali auf Platz 113 von 180.



RSF-Mitarbeiterin sechs Stunden lang festgehalten
Thu, 11. April 2024, 09:30

Die Hongkonger Behörden haben eine Mitarbeiterin von Reporter ohne Grenzen (RSF) nach Ankunft am Flughafen sechs Stunden lang festgehalten, durchsucht, verhört und schließlich ausgewiesen. Die in Taiwan ansässige Mitarbeiterin Aleksandra Bielakowska war am Mittwoch nach Hongkong gereist, um den Prozess gegen den inhaftierten Verleger Jimmy Lai zu beobachten, dem eine lebenslange Haftstrafe droht. Dieses aus RSF-Sicht beispiellose Vorgehen der Behörden zeigt erneut den Verfall der Pressefreiheit in der chinesischen Sonderverwaltungszone.

„Wir sind schockiert über das inakzeptable Verhalten gegenüber unserer Kollegin, die nur ihre Arbeit gemacht hat. In keinem anderen Land haben wir bisher solche eklatanten Versuche von Behörden erlebt, sich der Prozessbeobachtung zu entziehen. Der Vorfall unterstreicht die Erosion der Pressefreiheit und der Rechtsstaatlichkeit in Hongkong. Er zeigt auch, wie absurd das Verfahren gegen Jimmy Lai ist“, sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Wir fordern eine sofortige Erklärung der Hongkonger Behörden und eine Garantie dafür, dass unsere Mitarbeitenden sicher zurückkehren und das Gerichtsverfahren weiter beobachten können.“

Es war das erste Mal, dass ein RSF-Vertreter am Hongkonger Flughafen festgehalten und der Person die Einreise verweigert wurde. Bielakowska war bereits im Juni und Dezember 2023 für RSF ohne Probleme nach Hongkong gereist und hatte sich vor Ort unter anderem mit Medienschaffenden ausgetauscht. Am Mittwoch war auch der Leiter des RSF-Büros in Taiwan dabei. Er konnte offenbar einreisen, hat Hongkong aber aus Sicherheitsgründen wieder verlassen.

„Sie haben mich für sechs Stunden festgehalten, mich verhört, und mich und meine Sachen mehrmals durchsucht. Danach wurde ich unter einem nebulösen Vorwand ausgewiesen. Diese Vorgehensweise zeigt, wie sehr die Hongkonger Behörden NGO-Mitarbeitende und Menschenrechtsverteidiger fürchten, die über das autoritäre Klima in dem Gebiet – einst eine Bastion der Pressefreiheit – berichten wollen“, sagt Bielakowska.

RSF beobachtet weltweit regelmäßig Prozesse, darunter Anhörungen gegen türkische Journalistinnen und Journalisten oder das Auslieferungsverfahren gegen den WikiLeaks-Gründer Julian Assange.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Hongkong inzwischen auf Platz 140 von 180 Staaten. RSF befürchtet, dass auch ausländische Journalistinnen und Journalisten in Hongkong immer stärker von den drastischen Einschränkungen der Medienfreiheit vor Ort betroffen sein werden. In den vergangenen anderthalb Jahren verweigerten die Behörden den japanischen Medienschaffenden Michiko Kiseki und Yoshiaki Ogawa sowie dem US-Journalisten Matthew Connors die Einreise nach Hongkong. Alle drei hatten 2019 über Proteste gegen ein damals geplantes Auslieferungsgesetz berichtet.

In dem ausführlichen Bericht „Journalismus in China: Der große Sprung zurück“ beschreibt RSF das Ausmaß der Unterdrückung von Presse- und Informationsfreiheit in Hongkong und China und untersucht die verschiedenen Instrumente, mit denen das Regime in Peking arbeitet.



Weniger Übergriffe, aber pressefeindliche Stimmung
Tue, 9. April 2024, 05:55

In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine immer pressefeindlichere Stimmung ausgebreitet, das zeigt die jetzt veröffentlichte Nahaufnahme Deutschland von Reporter ohne Grenzen (RSF). Während der Pandemie schnellte die Zahl der Übergriffe auf Berichterstattende in die Höhe. Auch unser Rückblick auf das vergangene Jahr zeigt: Diese Tendenz ist noch nicht vollständig zurückgegangen. Für 2023 konnte RSF 41 Übergriffe auf Medienschaffende verifizieren. Im Jahr 2022 waren es 103. Zum Vergleich: 2019, vor der Pandemie, waren es 13. Die Nahaufnahme beschäftigt sich mit einer Vielzahl an presserelevanten Aspekten – zum Beispiel zu den Themen Gesetzgebung und Überwachung – und gibt einen Überblick über die gewaltsamen Angriffe auf Reporterinnen und Reporter.

„Im vergangenen Jahr wurden Reporter wieder verprügelt, ihre Ausrüstung wurde zerstört und ihnen wurde im Internet massiv gedroht. 2024 startete unter anderem mit der brutalen Körperverletzung eines Journalisten am Rande einer Demonstration in Leipzig. Zudem beobachten wir eine gefährliche neue Art der Aggression: Landwirte haben kürzlich mit Trecker-Blockaden und Misthaufen die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern verhindert”, sagt Michael Rediske, Mitgründer der deutschen Sektion von RSF und amtierendes Vorstandsmitglied. Das zeigt, dass die Freiheit, unabhängig zu berichten, hierzulande nicht nur durch Übergriffe gegen einzelne Medienschaffende bedroht ist. Unzufriedenheit mit einer angeblich zu geringen Berichterstattung über Bauernproteste reicht offenbar aus, um bei Angriffen gegen die Pressefreiheit die Hemmschwelle weiter zu senken.”

Gewalt gegen Medienschaffende und Redaktionen

2021 gab es 80 Angriffe, 2022 waren es 103. Für 2023 verifizierte Reporter ohne Grenzen nun 41 Übergriffe. Damit bleiben die Zahlen im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie vergleichsweise hoch: 2019 waren es 13. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer. 

Am häufigsten waren im Jahr 2023 Tritte und Faustschläge oder Schläge mit Gegenständen wie Fackeln oder Trommel-Schlegeln. Als Angriff gewertet wurden diese, sofern sie Körper oder Ausrüstung von Journalistinnen und Journalisten tatsächlich getroffen haben. Medienschaffenden wurde auch Ausrüstung entrissen, sie wurden zu Boden gerissen, mit Sand und Steinen beworfen oder in einem Fall mit Fäkalien beschmiert.

Die meisten der 41 für das Jahr 2023 verifizierten Angriffe – zwei Hacker-Angriffe können nicht geografisch zugeordnet werden – ereigneten sich in Sachsen (12), gefolgt von Bayern (6), Berlin (5), Nordrhein-Westfalen (5), Niedersachsen (4), Hamburg (2), Hessen (2), Rheinland Pfalz (1), Thüringen (1) und Schleswig-Holstein (1). Der gefährlichste Ort für Medienschaffende waren auch 2023 politische Versammlungen wie Partei-Veranstaltungen, Demonstrationen oder Protestaktionen. Hier wurden 32 von insgesamt 41 Fällen gezählt. Besonders pressefeindlich ging es erneut bei der Berichterstattung im Umfeld von verschwörungsideologischen oder rechtsextremen Versammlungen zu: Hier fand 2023 mit 18 von 41 verifizierten Fällen ein Großteil der Angriffe statt.

Auch für Januar und Februar wurden RSF bereits einige alarmierende Vorfälle gemeldet. Weitere Details zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland im internationalen Vergleich wird Reporter ohne Grenzen am 3. Mai zusammen mit der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit veröffentlichen.

Überwachung und Gesetzgebung in EU und Deutschland

Schwerpunkt der öffentlichen Debatten waren in diesem Jahr die Auseinandersetzungen um die gesetzlichen Grundlagen der Informationsfreiheit, in Deutschland und auf EU-Ebene. Die wichtigsten Reformvorhaben auf EU-Ebene, der European Media Freedom Act und der Digital Services Act, sind jetzt in Brüssel verabschiedet und müssen in Deutschland umgesetzt werden.

Strittig sind unter anderem der staatliche Einsatz von Spähsoftware, der den Quellenschutz journalistischer Arbeit untergräbt, sowie Regelungen im Spannungsfeld zwischen einerseits Verhinderung von Desinformation und Verleumdungen auf Plattformen und andererseits den Rechten von Whistleblowern wie Journalistinnen auf Anonymität und Schutz ihrer Kommunikationspartnerinnen und -partner. RSF fordert mit seiner politischen Arbeit verbesserte rechtliche Bedingungen. So zielt eine erneute Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf mehr Beschränkungen für Überwachung der Kommunikation von Medienschaffenden durch „Staatstrojaner“, also von staatlichen Stellen eingesetzte Überwachungs-Software. 

Zudem legte das Bundesministerium der Justiz im April 2023 Eckpunkte für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vor. Bislang existiert jedoch noch kein vom Kabinett gebilligter Entwurf. RSF hat gemeinsam mit der Organisation Neue Deutsche Medienmacher*innen das Gesetzesvorhaben begrüßt, zugleich aber Verbesserungen gefordert. RSF begrüßt auch das Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes im Juli 2023, kritisiert jedoch Einschränkungen der schließlich in Kraft getretenen Fassung: Whistleblower dürfen Missstände nicht sofort veröffentlichen lassen, sondern müssen mit Informationen von öffentlichem Interesse zunächst an nicht öffentliche interne oder externe Meldestellen herantreten.

Überdies überziehen europaweit mächtige Akteure, zumeist finanzstarke Unternehmen, einzelne Journalistinnen und Journalisten oder Medienhäuser mit Zivilklagen, um sie einzuschüchtern und von unliebsamen Veröffentlichungen abzuhalten. RSF beobachtet diese rechtsmissbräuchlichen Klagen, SLAPPs (kurz für „strategic lawsuits against public participation“), und wird das Thema auch 2024 stärker in den Fokus rücken. 

Medienvielfalt geht weiter zurück

Im Vordergrund der publizistischen Auseinandersetzung stand das ganze Jahr 2023 der Streit um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die anstehende Anpassung des Rundfunkbeitrags an die Inflation stößt auf Widerstand einer Reihe von Landesregierungen. Alle Landesparlamente müssen diese beschließen. Etliche Ministerpräsidentinnen und -präsidenten fordern stattdessen tiefgreifende Strukturreformen beziehungsweise eine Verkleinerung von ARD und ZDF. 

Für das Demokratieverständnis von RSF ist es grundlegend, dass sich Nutzende aus inhaltlich unterschiedlichen Quellen informieren können. Dies ist eine wichtige Bedingung für funktionierende Pressefreiheit. Deutschland verfügt zwar historisch mit seinem Netz aus bundesweiten, regionalen und Lokalzeitungen sowie mit seinem dualen System aus öffentlich-rechtlichen und privaten Hörfunk- und Fernsehanbietern über ein im internationalen Vergleich hohes Niveau an Medienvielfalt. Im Zuge von Digitalisierung und veränderten Nutzungsgewohnheiten ist jedoch die Vielfalt des lokalen Zeitungsangebots seit langem rückläufig. Alle Prognosen weisen darauf hin, dass dieser Prozess weitergehen und eine noch größere Bedrohung für die Pressefreiheit werden wird.



RSF-Konferenz in Albanien: Zeit zu handeln!
Mon, 8. April 2024, 12:54

Im Anschluss an ein Treffen mit albanischen Medienschaffenden werden Reporter ohne Grenzen (RSF) und der albanische Medienrat konkrete Vorschläge an nationale und europäische Institutionen senden. Gearbeitet wird unter anderem zu den Themen Sicherheit von Reporterinnen und Reportern, vertrauenswürdiger Journalismus sowie Online-Zensur. Diese Vorschläge werden das Ziel Albaniens unterstützen, in die Europäische Union (EU) aufgenommen zu werden. Hierfür ist Medienfreiheit eine wichtige Voraussetzung.

„Der EU-Beitrittsprozess bietet eine einzigartige Gelegenheit für einen Wandel. Doch der Weg ist noch weit, denn unsere Konferenz in Tirana und der Austausch mit den Berichterstattenden vor Ort machte deutlich: In Albanien vergeht keine Woche ohne eine Attacke auf die Pressefreiheit und das Recht auf Information. Es ist dringend erforderlich, nun zu handeln und von den Eigentümerinnen und Eigentümern einflussreicher Medienplattformen endlich Transparenz und Sorgfalt einzufordern, um wieder mehr Vertrauen in den albanischen Journalismus aufzubauen“, sagte Katharina Viktoria Weiß, die als Pressereferentin mit EU- und Balkan-Schwerpunkt für RSF die Diskussion in Tirana beobachtete.

Täglich neue Übergriffe auf die Pressefreiheit

Während Journalistinnen und Journalisten der wichtigsten albanischen Medien am Morgen des 3. April zu einer Konferenz über das Recht auf Information zusammenkamen, wurde ein weiterer Angriff auf ein lokales Medium bekannt: Am 2. April wurden die Inhalte des Citizens Channel systematisch von Facebook entfernt. Die digitale Plattform ist für viele albanische Medien unverzichtbar, da sie hier die größte Leserreichweite haben.

Es wurden Inhalte des Senders, die bis zum Jahr 2021 zurückreichen, von der Seite genommen. Die journalistischen Beiträge waren systematisch als „Spam" gemeldet worden, weil sie angeblich gegen die Regeln des sozialen Netzwerks verstießen. Laut der Nichtregierungsplattform SafeJournalists Albania "scheint es sich bei dieser Kampagne um einen koordinierten Versuch zu handeln, die Stimme [des Citizens Channel] zum Schweigen zu bringen, insbesondere nachdem [das Medium] einen Artikel veröffentlicht hatte, der den Bau des Nationaltheaters und die Erteilung von Genehmigungen für Hochhäuser durch die Stadtverwaltung von Tirana kritisierte.“

Die Online-Zensur durch digitale Plattformen wird oft durch eine undurchsichtige und strenge Moderationspolitik verursacht. Dieser Umstand wurde von den Journalistinnen und Journalisten auf der Konferenz am vergangenen Mittwoch als eines der Haupthindernisse für die unabhängige Medienlandschaft in Albanien genannt.

Die Journalism Trust Initiative (JTI) als Lösungsvorschlag

Nach der sehr ehrlichen und ausführlichen Diskussion auf der Konferenz werden RSF und der Medienrat nun Verbesserungs-Vorschläge ausarbeiten, welche dann den albanischen Medien zur Stellungnahme vorgelegt werden. Das Ziel von RSF ist es, im Juni 2024 konkrete politische Empfehlungen zu veröffentlichen, die sich an nationale und europäische Institutionen richten.

Zu den besprochenen Lösungen gehört die Journalism Trust Initiative (JTI), ein RSF-Projekt. Die Zertifizierung durch JTI prüft die Transparenz der Nachrichtenmedien und unterstreicht die Einhaltung höchster journalistischer Standards. Mehr als 1.200 Medien in 80 Ländern haben sich dem Projekt bereits angeschlossen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Journalismus wiederherzustellen.

"Während Qualitätsjournalismus immer häufiger Propaganda weicht, ist die von RSF entwickelte Journalism Trust Initiative ein Leuchtfeuer der Hoffnung. Als internationaler Standard für Hochwertigkeit und ethische Berichterstattung wird JTI für die Öffentlichkeit im Allgemeinen und für Albanien im Besonderen von großem Nutzen sein. Ich kann es kaum erwarten, dass albanische Medien zertifiziert werden, damit die albanische Öffentlichkeit zwischen vertrauenswürdigen und unethischen Zeitungen und Sendern unterscheiden kann“, sagte Koloreto Cukali, Vorsitzender des albanischen Medienrates.

EU-Integration als Chance

In seiner Eröffnungsrede auf der Konferenz betonte der Leiter der EU-Delegation in Albanien, Silvio Gonzato, dass eine große Mehrheit der Albanerinnen und Albaner den Beitritt ihres Landes zur EU wünscht. "Das ist eine politische Tatsache, welche die Regierung nicht ignorieren kann. Mit dem Beitritt zur EU wird Albanien Mitglied einer Werte- und Rechtsgemeinschaft. Der Aufnahmeprozess wird zu mehr Transparenz und größerer Medienfreiheit führen", so der Botschafter.

Abgesehen von der gefährlichen Moderationspolitik der digitalen Plattformen werden die Empfehlungen folgende von den albanischen Medienschaffenden aufgeworfene Fragen behandeln:

  • verschiedene Aspekte rund um die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten, von physischen Angriffen über Verleumdungskampagnen bis hin zu Knebelklagen (SLAPPs);
  • unzureichende Umsetzung der Rechtsvorschriften zum Zugang zu Informationen und den Schutz der Vertraulichkeit von journalistischen Quellen;
  • das Fehlen nachhaltiger Einnahmemodelle der Medien in Verbindung mit einer verzerrten Unabhängigkeit sowie Problemen bei der Durchsetzung von Urheberrechten und einem undurchsichtigen Anzeigenmarkt;
  • Konzentration der großen Medien in den Händen von Einzelpersonen, die sie als Instrumente der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme nutzen, verbunden mit geringer Transparenz über die Eigentumsverhältnisse und die Finanzierung der Plattformen;
  • geringe Unabhängigkeit der Medienaufsichtsbehörde und der öffentlichen Medien;
  • Verstöße gegen die journalistische Ethik und gegen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien.

Albanien steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 96 von 180 Ländern.



112 Medienschaffende in sechs Monaten getötet
Sun, 7. April 2024, 14:25

Reporter ohne Grenzen (RSF) ruft die internationale Gemeinschaft erneut dazu auf, sich stärker für den Schutz palästinensischer Journalistinnen und Journalisten einzusetzen. Im israelischen Krieg gegen die Hamas sind seit dem 7. Oktober 2023 mindestens 112 Medienschaffende getötet worden. Angesichts der Bombardierungen ist es für Journalistinnen und Reporter in Gaza extrem gefährlich, ihrer Arbeit nachzugehen. Bis heute, sechs Monate nach Kriegsbeginn, kommt fast niemand zum Berichterstatten in den Gazastreifen hinein, nur wenige durften ihn verlassen. Am 7. Oktober hatte die Hamas israelische Grenzgebiete überfallen und bei ihrem Massaker auch Medienschaffende getötet.

„Journalistinnen und Journalisten in Gaza müssen geschützt werden. Wer Gaza verlassen möchte oder muss, muss die Möglichkeit dazu bekommen. Und: Die Grenzen zum Gazastreifen müssen endlich für internationale Medien geöffnet werden. Das sind unsere Kernforderungen, die wir nun seit sechs Monaten wiederholen“, sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Wir rufen die internationale Gemeinschaft auf, den Druck auf die israelischen Behörden zu erhöhen. Dieser Krieg ist eine Katastrophe für die zivile Bevölkerung, und die Journalistinnen und Reporter sind ganz besonders bedroht.“

„Besserer Schutz“ ist die Antwort von nahezu allen palästinensischen Medienschaffenden, die Reporter ohne Grenzen in Gaza nach ihrem dringendsten Wunsch gefragt hat. Seit dem 7. Oktober leben sie in ständiger Angst und haben häufig den Tod von Angehörigen sowie Kolleginnen und Kollegen zu beklagen. Nach RSF-Recherchen sind in Gaza bisher mindestens 105 Medienschaffende durch israelische Luftangriffe, Raketen und Schüsse getötet worden, darunter mindestens 22 im direkten Zusammenhang mit ihrer Arbeit.

Kein anderer Krieg ist für Medienschaffende so gefährlich wie dieser

In der ganzen Konfliktregion beklagt RSF seit 7. Oktober 112 getötete Journalistinnen und Reporter – kein anderer Krieg in diesem Jahrhundert hat für Medienschaffende so tödlich begonnen wie dieser. Mitglieder der Terrorgruppen Hamas und Islamischer Dschihad hatten am und nach dem 7. Oktober vier israelische Medienschaffende getötet, einen von ihnen bei der Arbeit. Im Libanon starben bei israelischen Luftangriffen drei Medienschaffende, während sie gerade berichteten.

RSF und weitere Nichtregierungsorganisationen fordern seit Monaten, den Grenzübergang Rafah für Journalistinnen und Reporter zu öffnen. Dieser wird von Ägypten verwaltet, jeglicher Personen- und Warenverkehr wird jedoch von Israel kontrolliert. Bislang kam von dort bis auf eine Ausnahme jedoch noch kein Journalist und keine Journalistin nach Gaza hinein. Nur wer „embedded“ mit den israelischen Streitkräften unterwegs ist, darf in das Gebiet einreisen, muss sich aber bei der Berichterstattung auf Bereiche beschränken, die von den Streitkräften freigegeben werden, und das aufgenommene Material vorlegen. Aus dem Gazastreifen evakuiert werden konnte bislang nur eine geringe Zahl an Medienschaffenden.

RSF hat sich mit einigen von ihnen in der katarischen Hauptstadt Doha getroffen, darunter mit Wael al-Dahdouh, dem Leiter des Al-Dschasira-Büros in Gaza-Stadt, Mahmoud Hams, einem AFP-Fotojournalisten, der RSF-Korrespondentin Ola al-Zaanoun und mit ihrem Sohn, dem freiberuflichen Reporter Moussa al-Zaanoun.

Sie beschrieben die Risiken, die sie auf sich genommen haben, um weiter über den Gazastreifen zu berichten. „Wir fühlten uns verpflichtet, die ganze Welt mit Informationen zu versorgen“, sagte die RSF-Korrespondentin al-Zaanoun. Auf RSF-Initiative hatte sie zuletzt in einem taz-Beitrag von den immer schwieriger werden Arbeitsbedingungen und ihrer wachsenden Verzweiflung in Gaza berichtet. „Jeden Tag wurde ein Journalist getötet oder verwundet“, fügte ihr 24-jähriger Sohn hinzu. „Ich habe in ständiger Angst gelebt, meinen Vater, meine Mutter und mein eigenes Leben zu verlieren. Aber ich habe es als meine Pflicht verstanden, über das, was passiert, zu berichten.“

Wie auch andere Medienschaffende berichtete Mahmoud Hams von seinem Eindruck, dass Journalistinnen und Journalisten in diesem Krieg zu Zielen geworden sind. „Während der Evakuierung von Gaza-Stadt [im Oktober] wollten einige Leute nicht, dass ich in ihrer Nähe bin, weil sie befürchteten, dass ich als Journalist ins Visier genommen werden könnte“, so Hams. „Andere weigerten sich, uns Häuser zu vermieten, in denen wir leben, arbeiten und uns ausruhen konnten, weil sie der festen Überzeugung waren, dass alle Journalisten in Gaza Zielscheiben seien.“

So unterstützt RSF Medienschaffende in der Region

Seit Kriegsbeginn hat RSF Medienschaffende vor Ort mit Arbeitsmaterial wie Laptops, Handys oder elektronischen Sim-Karten, Dingen des täglichen Bedarfs sowie zum Arbeiten ausgestatteten Zelten versorgt. Besondere Unterstützung gilt dabei Frauen. Zur Flucht gezwungene Journalistinnen sehen sich oft mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert, es fehlt an Privatsphäre und Sicherheit. RSF arbeitet dafür mit der 2005 in Jordanien gegründeten, unabhängigen Organisation Arab Reporters for Investigative Journalism (ARIJ) zusammen. Bereits im November haben die beiden Organisationen im Süden des Gazastreifens ein Zelt aufstellen lassen, in dem jeweils sechs geflohene Journalistinnen unterkommen können. Der genaue Standort bleibt aus Sicherheitsgründen geheim.

RSF hat zudem am 21. März in Beirut ein Zentrum für Pressefreiheit eröffnet. Nach dem Vorbild der beiden Zentren in der Ukraine können Medienschaffende dort arbeiten, sich in physischer und digitaler Sicherheit schulen lassen, psychologische und juristische Hilfe bekommen sowie Schutzausrüstung und Erste-Hilfe-Sets ausleihen.

In der aktuellen Situation im Gazastreifen Hilfe zu leisten, ist eine herausfordernde Aufgabe. Um die Arbeit von RSF und ARIJ für den Schutz und die Sicherheit der Medienschaffenden zu unterstützen, hat RSF eine Spendenseite eingerichtet.

RSF hat am 31. Oktober beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Strafanzeige eingereicht, damit dieser mögliche Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen und Israel untersucht. Eine zweite Strafanzeige reichte RSF am 22. Dezember ein. Mittlerweile hat der IStGH mitgeteilt, dass er aufgrund der RSF-Strafanzeigen auch Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten in seine Ermittlungen mit aufnimmt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegen die Palästinensischen Gebiete auf Platz 156 von 180. Israel liegt auf Platz 97. Zuletzt hat die Netanjahu-Regierung ein Gesetz zur Schließung des Senders Al-Dschasira verabschiedet. RSF kritisiert dies als einen Angriff auf die Pressefreiheit.



Kaschmir: Antiterrorgesetze gegen Journalisten
Fri, 5. April 2024, 12:54

Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen in Indien erinnert Reporter ohne Grenzen (RSF) an das Schicksal von Medienschaffenden im ehemaligen Bundesstaat Jammu und Kaschmir. In der Region im Norden des Landes gehen die indischen Behörden mit Antiterrorgesetzen systematisch gegen unabhängigen Journalismus vor. Das zeigt etwa der Fall des Reporters Aasif Sultan, der kurz nach seiner Freilassung nach fünf Jahren Haft erneut festgenommen wurde. RSF fordert die Freilassung Sultans und vier weiterer Journalisten aus Kaschmir, die derzeit unter Indiens Antiterrorgesetzen inhaftiert sind.

„Die indischen Behörden nutzen Antiterrorgesetze, um unabhängige Medienstimmen zu unterdrücken und kritische Berichterstattung in Kaschmir zu verhindern. Die Informationsfreiheit vor Ort wird seit Jahren enorm eingeschränkt. Vor den Parlamentswahlen muss die Regierung ihre repressive Politik gegenüber Journalistinnen und Journalisten in der Region endlich beenden“, sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. 

Die Lage der Pressefreiheit im mehrheitlich muslimischen Gebiet Kaschmir hat sich seit August 2019 weiter verschlechtert, als Indien der Region den Sonderstatus entzogen und sie der direkten Kontrolle Neu Delhis unterstellt hatte. Artikel 370 in der indischen Verfassung hatte dem ehemaligen Bundestaat Jammu und Kaschmir bis dahin einen gewissen Grad an Autonomie gewährt. Die Zentralregierung sperrte damals Internet- und Telefonverbindungen und schnitt Jammu und Kaschmir weitgehend von der Außenwelt ab. Auch das Kabelfernsehen war nicht mehr zu empfangen. Im Dezember 2023 bestätigte das Oberste Gericht Indiens die Aberkennung des Sonderstatus. In den vergangenen fünf Jahren wurden in der Region 13 Medienschaffende inhaftiert, das entspricht fast einem Viertel aller Inhaftierungen von Journalistinnen und Journalisten in Indien in diesem Zeitraum.

Journalist wird sofort wieder festgenommen

Einer der Betroffenen ist Aasif Sultan. Der Reporter für das monatlich erscheinende Magazin Kashmir Narrator steht seit 2018 im Visier der Justiz. Damals hatte er einen Artikel am zweiten Todestag von Burhan Wani veröffentlicht, einem Kommandeur einer Separatistengruppe in Kaschmir, der bei einem Feuergefecht von Sicherheitskräften getötet wurde. Sultan wurde im August 2018 auf Grundlage des Unlawful Activities (Prevention) Act (UAPA) aus dem Jahr 1967 verhaftet. Die Polizei beschuldigte den Journalisten, Militanten Unterschlupf zu gewähren, die einen Polizisten ermordet hatten. Jedoch haben die Behörden nie Beweise vorgelegt, die ihn mit einer militanten Organisation in Verbindung bringen.

Im April 2022 entschied ein Gericht, dass Sultan gegen Kaution freikommt. Doch die Polizei nahm ihn sofort wieder fest, dieses Mal unter dem Vorwand, der Reporter „bedrohe den Frieden“ unter dem Jammu and Kashmir Public Safety Act von 1978, mit dem Personen bis zu zwei Jahre ohne Verfahren festgehalten werden können. Die Behörden ließen ihn in ein Gefängnis im Bundestaat Uttar Pradesh verlegen, rund 1500 Kilometer von seiner Heimat entfernt.

Nach einer Gerichtsentscheidung im Dezember 2023 kam Sultan am 28. Februar frei und konnte seine Familie wiedersehen. Kurz darauf, am 1. März, wurde er wieder inhaftiert. Die Behörden stützen sich dabei erneut auf das UAPA-Gesetz. Laut mehreren Gremien der Vereinten Nationen, darunter der Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen, ist das Gesetz nicht mit internationalen Menschenrechtsnormen vereinbar.

Neben Sultan werden vier weitere Journalisten aus Kaschmir unter Indiens Antiterrorgesetzen festgehalten. Sajad Gul, Reporter für das Online-Magazin The Kashmir Walla, sitzt seit Januar 2022 im Gefängnis. Abdul Aala Fazili, ebenfalls Reporter des Magazins, ist seit April 2022 inhaftiert. Im August 2023 sperrte die Regierung den Zugang zu der Webseite. Irfan Mehraj, Journalist beim Wande Magazine, wird seit März 2023 festgehalten. Seit September 2023 sitzt zudem der freiberufliche Journalist Majid Hyderi im Gefängnis.

Funkstille in Kaschmir

Kaschmir ist für ausländische Medien weiterhin fast nicht zugänglich. Während eines Besuchs von Premier Narendra Modi am 7. März in Srinagar verwehrten die Behörden 33 Journalistinnen und Journalisten ausländischer Medien den Zugang zur Region. Zudem hat sich die Zahl der Internet- und Kommunikationssperren in der Region in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht.

Mitte Februar musste das Online-Investigativmedium The Caravan einen Artikel über Folter von Zivilisten in Jammu und Kaschmir durch die Armee offline nehmen. Das ist nur eine von mehreren Einschränkungen der Pressefreiheit, die RSF im Vorfeld der Wahlen in Indien hier dokumentiert hat.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2023 steht Indien auf Platz 161 von 180 Staaten und hat sich im Vergleich zum Vorjahr um elf Plätze verschlechtert. Die Übernahmen von Medien durch reiche Geschäftsleute, die Modi nahestehen, gefährden den Pluralismus. Gleichzeitig verfügt Modi über eine Armee an Unterstützern, die regierungskritische Berichte im Netz aufspüren und Hetzkampagnen organisieren. Das treibt viele Journalistinnen und Journalisten in die Selbstzensur.